Situation der Wagenplätze in Berlin

 Situation der Wagenplätze in Berlin


Es gibt in Berlin (Stand Mai 1997) 11 Standorte mit Gruppen von Menschen, welche in auegebauten Bau-, Zirkuswagen oder LKWs wohnen.
Insgesamt sind es ca. 400 Menschen.

  • Das Grundstück der Wagenburg Schillingbrücke (Friedrichshain) ist an einen Investor verkauft worden. Die derzeitige Duldung geht noch bis zum 15. Juni die Bewohnerinnen rechnen mit baldiger Räumung.
  • Für die FIäche der Wagenburg Schwarzer Kanal (Mitte) an der Schillingbrücke hängt mittlerweile der Bebauungsplan (B-Plan 1-32) im Stadtplanungsamt Mitte öffentlich aus, welchereine Uferpromenade vorsieht. Hier läuft nochbis zum 12. Juni die offizielle Bürgerlnnenbeteiligung, d.h. daß alle Einwohnerlnnen Berlins Einwände gegen diesen B-Plan vorbringen können. Infos gibt es beim Schwarzen Kanal.
  • Das Wagendorf Lohmühle (Treptow) ist trotz intensiver Bemühungen im Bezirk akut räumungsbedroht Hier soll u.a. in nächster Zeit ein Uferwanderweg gebaut werden. Eine Verkleinerung des Wagendorfes scheint unausweichlich.
  • Der Kinderbauemhof an der Adalbertstraße (Kreuzberg), auf dessen Gelände sich ein Wagenplatz befindet, war in der Vergangenheit bereits durch verschiedene Baumaßnahmen (Schule, Kita, Parkplatz) bedroht.
  • Der Wagenplatz Kreuzdorf (Kreuzberg) steht auf einer Grünfläche am Bethanien, mit dem ein Vertrag erarbeitet wurde. Hier sind in absehbarer Zeit keine Baumaßnahmen geplant, jedoch verbreitet die CDU im Bezirk mittels Flugblattkampagnen schlechte Stimmung gegen die Wagenbewohnerlnnen.
  • Die Wagen an der Späthbrücke (Treptow) sollen weichen, weil dort ab 1998 mit dem Bau einer Autobahn begonnen werden soll.
  • Die Rollheimer am Potsdamer Platz mußten im September 1995 umsiedeln und fanden auf einem Kirchengelände in der Oderstraße (Neukölln) ein Gelände, wofür sie mit der Kirche einen Nutzungsvertrag abgeschlossen haben.
  • Die Wagenburg an der Bötrowstraße (Prenzlauer Berg) steht auf einem Grundstück mit ungeklärten Eigentumsverhätnissen.

Bauwagen (angedeutet)

Im Zuge der neoliberalen Stadtentwicklung befindet sich auch Berlin einem tiefgreifenden Umstrukturierungsprozeß, welcher durch den Umbau zur Hauptstadt mit Regierungssitz massiv verstärkt wird. Seine verbalen Umschreibung findet dies z.B. in der Presseerkärung des Innensenators Jörg Schönbohm anläßlich der Räumung der Wagen an der East-Side-Gallery am 17. Juli 1996: “Berlin ist nicht länger nur für sich selbst da, sondern ist Schaufenster und Repräsentant unseres Staates.” Die bisherige Bilanz der Stadtentwicklung weist die Aufkündigung der Toleranzgeschichte Berlins auf. Wo sich bislang mit der Subkultur gebrüstet wurde, ist diese allgemein nicht mehr erwünscht oder gilt -insbesondere unter dem “Sachzwang” der angespannten Haushaltslage – als nicht mehr finanzierbar.

Im Zusammenhang mit dieser Räumung der Wagenburg an der East-Side-Gallery im Juli vergangenen Jahres erfolgte der Beschluß des Senats, nach welchem alle innerstädtischen Wagenburgen bis Ende 1997 zu räumen und die bislang genehmigten Standorte nur noch kurzfristig zu erhalten seien. In dem Senatsbeschluß wird darauf hingewiesen, “daß Wagenburgen keine Problemlösung für die dort lebenden Bewohner mit dem Ziel der gesellschaftlichen Reintegration darstellen.”

Als ein sog. Ausweichstandort für alle Wagenburgen wurde zunächst ein Gelände am Stadtrand anvisiert, was der klassischen Verdrängung entsprochen hätte. Dieses Konzept ist jedoch mittlerweile hinfällig. Der Senatsbeschluß wurde Ende April dieses Jahres neu gefaßt mit dem alten Ziel, daß an den Räumungen bis Ende 1997 festgehalten wird, jedoch wird kein Ersatzgelände bereitgestellt, da es als nicht finanzierbar angesehen wird. Die Bezirke sind nun angehalten, Ersatzwohnraum zur Verfügung zu stellen, aber keinesfalls Ersatzflächen, um weitere Ansiedlungen von Wagenburgen zu verhindern.

Für uns hingegen ist das Wohnen im Wagen keine Notlösung, sondern freiwillig gewählte altemative Lebensform, für die wir in der Regel frühere Wohnungen aufgegeben haben.

 Das Leben auf Wagenplätzen:
  • erschließt Möglichkeiten, sich die eigene Behausung selber zu bauen und darüber selbstbestimmt zu ent- scheiden. Hierbei wird mit Ressourcen bewußt umgegangen und vielfach Konsumabfall verwertet.
  • Ermöglicht die Organisation kollektiver Lebenzusammenhänge unter Wahrung der Individualität der Einzel- nen.
  • schafft ein differenziertes Freiraumsystem zwischen privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Nutzun- gen, welches Spielraum bietet für eine (Wieder-)Zusammenführung von Wohnen und Arbeiten
  • stellen eine alternative Wohnform dar, welche eine urbane Nutzungsmischung bereichem.
  • übt auf sonst unbebauten Grundstücken soziale Kontrolle aus, was die Sicherheit, vor allem nachts und für Frauen in untergenutzten Bereichen erhöht.
  • bereichert mit der entstandenen hier (Sub-)Kultur (Variete/Kino,Volksküchen etc.) die bestehende Kulturlandschaft
 Wir fordern:

  1. Die Rücknahme des Senatsbeschlusses vom Juli 96/ April 97, daß alle innerstädtischen Wagenurgen 1997 zu räumen sind
  2. Den Erhalt und die rechtliche Absicherung der bestehenden Wagenplätze ggf. Verhandlungen über die betreffenden Grundstücke mit uns Betroffenen und zuständigen, kompetenten und entscheidungsbefugten Gesprächspartnerlnnen.

  3. Falls Umsiedelungen notwendig sind, müssen akzeptable Grundstücke angeboten werden, d.h. möglichet in der Nähe der bisherigen Standorte bzw. in den derzeitigen Bezirken. Dabei sollen die Grundstücke mindestens innerhalb des S-Bahn-Rings liegen und von kleinen Gruppen genutzt werden können. Es sollten sich um Gruppen bis max. 25 Personen handeln. Eine längerfriitige Absicherung dieser Standorte ist dabei unumgänglich.

Berlin, Juni 1997 Das Plenum der innerstädtischen Berliner Wagenplätze

aus Interim Nr. 426


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