Am Sonntag, den 26. November, verschafften sich OPKE-Einheiten und zivile Bullen Zugang zum besetzten Haus Gare in Exarchia. Vom Inneren wurde Widerstand geleistet, die Räumung wurde aber am Nachmittag vollzogen und vier Personen, die sich zum Zeitpunkt im Haus aufhielten, festgenommen.
Die Räumung des Gare steht im direkten Zusammenhang mit Versuchen der Staatsmacht vor dem 6. Dezember den Druck auf den Widerstand zu erhöhen und strategische Punkte zu besetzen. Der 6. Dezember ist der Jahrestag der Ermordung Alexis Grigoropoulos‘, der vor 9 Jahren in Exarchia von einem Bullen erschossen wurde. Jedes Jahr kommt es an diesem Datum seitdem zu Kämpfen, in denen die Polizei versucht, das Viertel gegen massiven Widerstand einzunehmen und mit Chemikalien und Festnahmen zu terrorisieren.
Als aktive Freund_innen und Comrades der Rigaer Straße in Berlin solidarisieren wir uns mit dem Kampf für Exarchia, als ein selbstverwaltetes und unregierbares Viertel. Unsere Bestrebungen, unsere Sorgen und Nöte, vor allem aber unsere Hoffnungen verbinden uns im Kampf für ein herrschaftsfreies Leben. Das Gare-Squat als aktiver Part in diesem Kampf ist ein wichtiger Teil der lokalen Struktur mit internationaler Ausrichtung und ihre Geschichte ist unsere Geschichte. Aus diesem Grund ist die Räumung und die fortdauernde Belagerung des Hauses, genauso wie der alltägliche Polizeiterror, ein Angriff auf uns.
Die Räumung kommt zu einem Zeitpunkt, da es wöchentliche Kämpfe mit Riot-Cops gibt, sich aber auch reaktionäre und kommerzielle Strukturen in Exarchia zunehmend organisieren. Auch Stimmen aus einigen anarchistischen Kreisen werden lauter, die Skepsis oder Ablehnung gegenüber den permanenten Konfrontationen mit dem Staat verbreiten. Im Vorfeld des 17. November, dem Jahrestag des Polytechnio-Aufstandes gegen die Militärjunta kam es beinahe zu einer Eskalation zwischen Besetzer*innen des Universitätsgeländes und Gruppen, die die Besetzung zunächst kritisierten und dann eine Demonstration organisierten, die mit mehreren hundert Leuten die Besetzung beendete. Ziel der Besetzung war es gewesen, linken Parteien durch Ausschluss die Möglichkeit zur staatskonformen Geschichtsdeutung zu nehmen. Ziel der Demonstration war es, diesen offensiven Akt zu unterbinden. Statt die Mittel zu kritisieren und sich konstruktiv an der Besetzung und der Debatte über ihre Inhalte zu beteiligen, wurden nur die Mittel kritisiert und die Besetzung in einer Machtdemonstration beendet.
Der Staat beobachtet derartige Auseinandersetzungen sehr genau und auch die Medien setzen ihre Kampagne gegen „Exarchistan“ fort, deren Propaganda der Medienhetze gegen die Rigaer Straße in nichts nachsteht. Leider bleiben Effekte nicht aus. So gab es im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Besetzung des Polytechnio am 15. November mehr als einmal auch aus den anarchistischen Reihen Statements, die nationalistische Positionen reproduzierten.
„…das Ersetzen von revolutionärem Internationalismus durch den Randaletourismus und schließlich die Anmaßung von Einigen im Namen der Anarchie Menschen und ihren Kindern, den Schülern, den Jugendlichen und Allen die für eine bessere Welt kämpfen, die Ehrung und das Gedenken an unsere Toten zu verbieten, bildet die größte Beleidigung.
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Die „Besetzung“ war mit 25 Leuten – hauptsächlich Flüchtlinge und Randaletouristen – schwach. Subjekte mit dem gemeinsamen Merkmal der Unwissenheit über den Novemberaufstand und die Charakteristika der Bewegung in Griechenland tanzten zum Rhythmus von Psy Trance am Stournari Tor.“
(Text von der Gruppe Class Counter Attack: Stellungnahme des Klassengegenangriffs über die Ereignisse im […] Polytechnio 15-17.11.2017, Quelle)
Deren Text beginnt damit, dass sie von der Besetzung mit Schrecken aus dem Internet (Indymedia) erfahren hätten. Später räumen sie im Text ein, dass es doch eine offene Versammlung gab und wollen die genaue Zusammensetzung der Besetzer*innen kennen.
Wir verstehen in derartigen Äußerungen die Sorge nach sinkendem Rückhalt in Teilen der Bevölkerung, die den Massenmedien scheinbar schutzlos ausgeliefert ist. Als Antinationalist*innen ist unsere Überzeugung aber, dass die Bezugnahme verschiedener Kämpfe untereinander ein unersetzbarer Faktor der Weiterentwicklung und Organisierung ist. So wie wir in der Rigaer Straße jegliche Beteiligung ohne Ansehen der Herkunft begrüßen und so wie der Hamburger Aufstand ein Erfolg eines internationalen Kampfes war, sehen wir uns als Teil um den Kampf um Exarchia und weiter als Teil der „griechischen“ Bewegung. So wie uns die Schüsse auf Alexis ins Mark getroffen haben und uns der folgende Aufstand mit Freude erfüllte, so kämpfen wir heute Seite an Seite mit unseren Comrades in allen Teilen der Erde. Aus Exarchia haben wir viele Erfahrungen mit nach Berlin genommen.
Für uns sprechend sagen wir, dass wir mit dem Image des Krawall-Tourismus nicht einverstanden sind. Sicherlich aber gibt es auch solche, die damit einverstanden sind. Diese – egal welcher Herkunft – auszuschließen, erscheint aber zumindest dann fragwürdig, wenn dies dazu geschieht, sich denjenigen anzubiedern, die sich den Widerstand auf die Fahne schreiben, aber mit ihrer Stimme oder sogar ihrer ganzen Existenz in die Institutionen der Demokratie Einzug gehalten haben. Dagegen würden wir doch die sogenannten Lumpen-Proletarier, die Rowdies und die Hooligans vorziehen, um die Konflikte mit dem Staat zu befeuern.
Das oben genannte Zitat der Gruppe Class Counter Attack bedient sich der selben Formulierungen über die angebliche Zusammensetzung der Polytechnio Besetzung wie die Presse. Die gleichen Formulierungen benutzten auch die deutschen Medien, um den Widerstand gegen den G 20 in Hamburg zu diffamieren, mit den selben Worten distanzierte sich der Anmelder der Welcome to Hell Demonstration, Andreas Beuth, von den Riots im Schanzenviertel. Sprechblasen, die wir nach jeder Konfrontation der letzten Jahre in Deutschland hörten: wir sind unpolitisch, ausländisch, gewaltorientiert aus Spaß und Langeweile. So reisen wir und unsere Freund*innen durch Europa, um tapfere Polizisten anzugreifen. Hinter solchen Diffamierungen verbirgt sich die Konzeptlosigkeit, die Depression derjenigen, die solche Worthülsen brauchen. So wie bei vielen Straßenschlachten Sachen passieren, die nicht optimal sind, haben auch Besetzungen und alle anderen Aktionsformen Schwächen, können von unterschiedlichen Perspektiven betrachtete werden. Wem dafür nur die Sprache der Herrschenden und der Bullen bleibt, muss nicht auf selben Niveau geantwortet werden. Die Anarchie braucht keine Daten oder Orte und auch keine Mehrheiten in imaginierten Volkskörpern, sie tritt immer auf, wo sich gegen Machtpolitik erhoben wird. Ob die Macht die Uniform der Schweine trägt, als Journalist verkleidet ist oder sich als Teil der antiautoritären Bewegung gibt, spielt keine Rolle. Weder jammern wir über den Knüppel der Bullen, noch beleidigen uns Bezeichnungen wie „Krawalltouristen“.
Der jetzige Angriff gegen die anarchistische Bewegung geschieht sicherlich auch in der Hoffnung auf interne Konflikte. Ziel des Staates ist es letztendlich, wie im Friedrichshainer Nordkiez, den Widerstand im Viertel durch Polizeipräsenz zu ersticken. Was bei uns sinnbildlich verstanden werden muss, ist hier wörtlich zu nehmen. Das zur Zeit von den Riot-Einheiten eingesetzte Tränengas ist abgelaufen, noch stärker geworden und wird zu jedem Anlass eingesetzt. Am 17. November wurde zunächst die Demonstration durch Blendschock und Gasgranaten zerschlagen, später im Viertel wurden Treppenhäuser, in die Menschen geflüchtet waren, regelrecht ausgeräuchert. Der staatliche Terror muss zurückgeschlagen werden und Befriedungsstrategien müssen aufgedeckt werden, wenn wir unsere Viertel nicht verlieren wollen. Diese Viertel sind unser Nährboden für gesellschaftliche Experimente und Beispiele von internationaler Relevanz für den anarchistischen Kampf.
Die vier Festgenommenen sitzen derzeit wegen Vorwürfen des Widerstandes und des Besitzes von Benzin und Knallkörpern im Gefängnis. Morgen wird es voraussichtlich eine Gerichtsentscheidung darüber geben, ob sie erstmal drinnen bleiben.
Freiheit für die Gefangenen!
Comrades and friends of Rigaer94 and the resistance in Friedrichshain/Berlin
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