Über politische Indikationen Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten

  Über politische Indikationen Nebenwirkungen und Unverträglichkeiten


  • Die Flora ist nicht per se ein politischer Ort, ihre Bedeutung liegt in der Umsetzung einer autonomen radikalen Politik. – Genau dieser Ansatz soll durch Verträge ‘bekämpft’ werden.

  • Die aktuelle Situation der Flora ist nicht losgelöst von der des Viertels zu sehen. Sich (im Rahmen von Verhandlungen) zum Teil einer “Problemlösung” zu machen, wäre politisch das falsche Zeichen.

  • Jeder Vertrag ist ein Eingriff in die Strukturen und Praxis des Hauses der die Flora als emanzipatorisches Projekt in Frage stellt.

  • Die Hoffnung, durch Verhandlungen die Flora als “Infrastruktur” zu retten, bedeutet, das Projekt auf “kaltem” Wege räumen zu lassen: war glauben, dass wir nach “erfolgreichen” Verhandlungen die Flora als Ort linker radikaler Politik verloren haben werden.

  • Die Zuspitzung des Konfliktes um den Erhalt der Flora kann dazu führen, die Widersprüche im Stadtteil noch einmal deutlich werden zu lassen – gegen die falsche Harmonie.

  • In der Verweigerung von Verhandlungen mit “der” Stadt, liegt mehr politische Rationalität als Ausdruck einer glaubwürdigen Politik, die den gesellschaftlichen Konsens einer formierten weißen neoliberalen Ausschlußgesellschaft infrage stellt, als der nur scheinbar vernünftige Pragmatismus von Verhandlungen.

  • Wir finden es notwendig, uns in unserer Positionierung vor allem an unseren eigenen politischen Maßstäben zu orientieren. Das Schielen auf die Frage der öffentlichen Vermittelbarkeit als Entscheidungskriterium ist eine falsche Perspektive: was müßten wir nicht alles von unseren politischen Überzeugungen über Bord werfen, wenn es nur allein um die Vermittelbarkeit ginge.

  0. Beipackzettel

Das vorliegende Papier soll unsere Position erläutern, sich im Zusammenhang mit dem Vertragsangebot des Bezirksamts Altona nicht in Gespräche mit der Stadt über die Zukunft der Roten Flora zu begeben. Das Ganze ist dann doch etwas umfangreicher geworden, deshalb stellen wir das.Folgende als kleine “Lesehilfe” zur Orientierung voran.

Wir haben an den Beginn unserer Überlegungen eine Reihe von Thesen gestellt, die unsere zentralen Argumente für eine Ablehnung von Gesprächen zusammenfassen. (Siehe oben) Welche/wer sich nur kurz einen Überblick verschaffen möchte, lese diese und die Überlegungen zu Szenarien am Schluß dieses Textes.

In einem ausführlicheren Textzusammenhang versuchen wir, diese Position nochmal nachvollziehbarer zu entwickeln.

In den Abschnitten 1 und 2 analysieren wir unter dem Vorzeichen der seit Ende der 80er Jahre laufenden Umstrukturierung sowie der seit ca. 4 Jahren laufenden Diskussion um die Drogenverbotspolitik in der Schanze die Rolle der Flora darin.

Im Abschnitt 3 versuchen wir eine kurze Einschätzung über die aktuellen Strukturen bzw. politischen Ansprüche der Flora/im Projekt vor dem Hintergrund der letzten 11 Jahre.

Davon ausgehend schätzen wir in einem Rückblick die Überlegungen und Erfahrungen “der” Flora mit den Vertragsverhandlungen 1992/93 im Abschnitt 4 ein, um daraus folgenden zu zeigen, warum wir uns aufgrund dieser Vorgeschichte aktuell eine Wiederholung eines Verhandlungsszenarios nicht vorstellen können. Dies insbesondere auch, weil ein vertraglich geregelter Status des Hauses in der heutigen Situation einen massiven Eingriff in die politischen Strukturen und der politischen Selbstbestimmung bedeuten würde.(Abschnitt 5)

Im letzten Teil ziehen wir ein Fazit und stellen mögliche Handlungsperspektiven, die aus unseren Erwägungen folgen, in unterschiedlichen Szenarien vor.

  1. Die Flora im Kontext der Umstruktarierung des Viertels

Nachdem da Phantomprojekt ‘88 verhindert wurde, ist 1989 mit der Eröffnung der Roten Flora der Versuch gemacht worden, den Entwurf eines Gegenkonzepts zur kommerziellen Verwertung des öffentlichen/kulturellen Raums praktisch umzusetzen.

Zeitgleich wurde Anfang 1990 die Stadterneuerungsgesellschaft (STEG) nach mehrjährigen Planungen innerhalb der Baubehörde gegründet: sie sollte/soll u.a. das Schanzenviertel im

Rahmen des wirtschaftlichen Standortkonzepts der Stadt Hamburg entsprechend umgestalten. Um diese strategische Aufgabenstellung zu realisieren, sollte/sollen die alltäglichen Geschäfte der Umsetzung dieser Vorgaben über das Konzept der Betroffenbeteiligung, Einbindung, Integration und Akzeptanz dieser an kapitalistischer Verwertungslogik orientierten Stadtentwicklungspolitik sichergestellt werden.

Die Flora hat in diesem Prozeß eine ambivalente Rolle gespielt. Einerseits gehörte von Anfang an eine klare Frontenstellung gegen die STEG zum politischen Programm des Projekts. Dies war gekoppelt an den Versuch, die dahinterstehende Umstrukturierungspolitik zu thematisieren – unter dem Slogan “Kein Weg mit der STEG” wurde der im Nachhinein vielleicht etwas überdimensionierte Versuch unternommen, zumindest den linksalternativen stadtteilbezogenen Zusammenhängen deutlich zu machen, daß die STEG nicht mehr, als die weichgespülte Variante knallharter Senats- und Baubehördenpolitik darstellt. Insbesondere indem die Flora sich selbst in den letzteri 10 Jahren mit Erfolg jeglicher Form der Zusammenarbeit mit der STEG verweigerte, ist der STEG die ganz große Verschwisterung mit dem Stadtteil verwehrt geblieben.

Demgegenüber muß aber auf der anderen Seite festgestellt werden, daß die Flora über ihre Außenwirkung zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil zu einer Entwicklung beigetragen hat, die sie per politischem Selbstverständnis eigentlich bekämpfen wollte: die Umstrukturierung des Schanzenviertels zu einem innovativen Standort sogenannter “aufstiegsorientierter Mittelschichten”, die jenes “unabdingbare Humankapital” der Neuen-Medien-Branchen darstellen -gerade weil der nichtkommerzielle Veranstaltungsort Rote Flora gut läuft, ist er unfreiwillig Teil einer urbanen, subkulturellen Standortinszenierung geworden, die das Viertel aufwertet und attraktiv macht. Mensch kann der Flora zumindest zugute halten, daß sie sich dieser Rolle bewußt ist und daher die schlimmsten Auswüchse verhindert werden konnten.

Trotzdem hat sich das Quartier in den letzten 10 Jahren unübersehbar verändert, und seit drei Jahren ist der Stadtteil in der Tat gekippt: längst ist er unbestritten im BRD-weiten Standortwettbewerb einer der begehrtesten Adressen für Firmen des Neuen Marktes geworden. Nicht ohne Grund sind die europaweit größten Internetagenturen im Schulterblatt zu finden, kleine Freakläden innerhalb kurzer Zeit zu Großbetrieben aufgestiegen (Kabel-New-Media, Netzpiloten).

Diese ökonomischen Veränderungsprozesse, die im Schanzenviertel sichtbar werden, sind Teil einer gesamtgesellschaftlichen Umgestaltung des Arbeitssektors. So, wie die Branche der Neuen Medien verbunden sind mit der weltweiten Neustrukturierung zwischen logistischer Steuerung in den Metropolen von lohnabhängiger industrieller Massenproduktion im Trikont – Information wird zur Ware – , so sind diese Umstrukturierungsprozesse gleichzeitig mit einer grundlegenden sozialen Deregulierung in allen klassischen westlichen Industrienationen verbunden, deren gesellschaftlicher Auswirkung aller Orten spürbar sind. Hier liegt (grob vereinfacht und in diesem Kontext jetzt etwas kurz angedeutet) ein Grund dafür, daß die sichtbare Diskrepanz zwischen boomenden Schanzenviertel als Standort neuer Gewerbebetriebe und der gleichzeitig im Stadtteil präsenten Verarmung und Verelendung (deren einer Ausdruck die offene Drogenszene ist), nicht so widersprüchlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die Flora hat sich in diesem Kontext versucht, seit 1997 zu verorten, wozu nun im folgenden einiges zu sagen ist:

  2. Flora seit 1997 – die Forcierung des Ausgrenzungsdiskurses im Viertel

Die aktuelle Forderungen an die Flora, sich an Verhandlungen zu begeben und das Projekt mit einem Vertragsabschluss zu legalisieren, kommen nicht unvermittelt sondern sind die Konsequenz der Entwicklungen der letzten Jahre. Lange Zeit ließ sich von Seiten der Stadt kein sonderliches Bedürfnis feststellen, die Flora öffentlich unter Druck zu setzen. Das änderte sich langsam, als mit den Auseinandersetzungen um die offene Drogenszene und mit den forcierter betriebenen Umstrukturierungs- und Aufwertungsplänen das Schanzenviertel immer stärker in das Blickfeld des öffentlichen Interesses rückte. Bereits im letzten Bürgerschaftswahlkampf 1997 wurde der Stadtteil zum symbolischen Terrain stilisiert, auf dem seitdem die Tragfahigkeit rot-grüner Konzepte zur Sicherheits- und Sozialpolitik und zur Durchsetzung standortorientierter Stadtteilentwicklung ausgefochten wird.

Etwas verspätet, aber immerhin, hat die Flora seit dem Winter 97/98 politisch und praktisch auf die zugespitzte Situation reagiert und eine kritische Position zur Drogenverbotspolitik und ihrer polizeilichen Durchsetzung entwickelt und vertreten. Neben den verschiedenen Ansätzen, der Repression gegen Schwarze, gegen Junkies und Dealer Widerstand entgegenzusetzen und dem Versuch, den Bereich um das Haus für die Drogenszene offenzuhalten, war auch die Diskussion über die rassistische Stimmung im Viertel und deren Bewertung notwendig geworden. Das führte nicht nur dazu, die nestalgisch-naive Bezugnahme auf “unser Viertel” endgültig zu verabschieden und die selbstverständlich gewordene Rede von der Flora als “Stadtteilzentrum” kritisch zu hinterfragen. Auch umgekehrt, bei vielen AnwohnerInnen, verlor die Flora zunehmend an Akzeptanz.

Die Re-Politisierung der Flora an diesen Fragen war nie widerspruchsfrei, weder im Projekt noch im politischen Umfeld unumstritten und selten so nachdrücklich, wie es der Situation nach wie vor angemessen wäre. Sie hat allerdings auch gezeigt, was an gemeinsamer politischer Aus-einandersetzung in einem doch heterogenen Projekt machbar ist.

Zugleich konnte die Arbeit gegen Vertreibung, Repression und Rassismus im Viertel die nicht als erstes und nie allein von der Flora getragen wurde – von der erhöhten Aufmerksamkeit profitieren, die das Projekt als öffentlich wahrnehmbarer und wahrgenommener Ort linksradikaler Politik besitzt.

Die “politische Renaissance” der letzten Jahre hat nicht nur unsere Inhalte und Praxis stärker in die Öffentlichkeit gebracht sondern auch zur Folge, daß die Flora selbst zunehmend zum Problem erklärt wurde: PolizistInnen beklagten, sie könnten im Bereich des Hauses nicht so gegen die Drogenszene vorgehen, wie sie es wollten und müssten dort einen “rechtsfreien Raum” hinnehmen.,Geschäftsleute und AnwohnerInnen fühlen sich von Müll und Drogen bedroht. Der Wunsch der Stadt, nun Verträge abzuschließen, erklärt sich auch daraus, mit diesen “Zuständen” Schluß machen zu wollen. Daß dabei zunächst nicht auf Räumung sondern auf “Gespräche” gesetzt wird, entspricht den politischen Strategien, die Bezirke und Stadt im Schanzenviertel verfolgen. Sie zielen darauf, neben der fortgesetzten und ständig zugespitzten Vertreibung der marginalisierten Gruppen möglichst viel Akzeptanz und Kooperation bei den anderen BewohnerInnen, Geschäftsleuten und Interessensgruppen im Viertel zu gewinnen. Seit zwei Jahren verspricht nicht nur das “Neuner-Gremium” und die “Quartiersmanagerin” STEG die als zentral ausgemachten “Probleme” Drogen, Dreck und Sicherheit perspektivisch zu lösen auch die BürgerInnen selbst bekommen in diversen Foren, Runden Tischen und AG’s Gelegenheit, gestaltend an diesen Lösungskonzepten mitzuwirken. Diese Integrationsangebote zeigen inzwischen gewisse Erfolge, Vom “verslummenden Schanzenviertel” spricht heute fast niemand mehr. Statt dessen inszeniert sich der Stadtteil als attraktiv und zukunftsfähig.

Die momentane Dynamik von Integration und Repression wurde von der Flora in einer längeren Stellungnahme zu “Partizipationsgremien” (“Runde Tische für ein rundes Schanzenviertel”) thematisiert. Eine Beteiligung an solchen Gremien wurde ausgeschlossen. Wir wollen uns nicht konstruktiv daran beteiligen, der Lösung obskurer “Probleme” unter der Leitung städtischer und wirtschaftlicher Interessen und auf der Basis repressiver Ein- und Ausschlußmechanismen das “demokratische Wort” zu reden.

Dennoch gibt es immer wieder Integrationsbemühungen und Vereinnahmungsversuche in Richtung Flora. Nicht erst in den Diskussionen um die Zukunft des Projekts, die nach dem 30.4./1.5. wochenlang geführt wurden, waren STEG, Teile von “Standpunkt.Schanze” und der Handelskammer darauf bedacht, den Nutzen des Hauses als Standortfaktor fürs Viertel heraus-zustellen und die Kulturangebote der Flora zu loben. Dieses Bild besitzt einen wahren Kern: Als alternatives Zentrum mit reizvollem Abbruchambiente und gutbesuchten Musikveranstaltungen ist die Flora – wenn auch ungewollt durchaus ein aktiver Bestandteil des Viertelimages und booms.

Unter dieser Perspektive ist die Flora tatsächlich integrierbar. Ob sie sich jedoch integrieren läßt, und gegebenenfalls zu dem verkommt, als was sie gern verharmlost werden soll, muß von uns bestimmt werden.

Den Imagegewin für den Stadtteil, der aus der Flora zu ziehen ist, möglichst gering zuhalten, ist eines der Ziele, die wir mit der Ablehnung von Vertragsverhandlungen verfolgen. Es muß vielmehr darum gehen, klarzustellen, daß Kultur und Politik in der Flora zusammengehören unter den Vorzeichen eines linksradikalen Projekts.

Ganz wesentlich hieße die Bereitschaft zu Verhandlungen auch, unsere politische Positionierung der letzten Jahre zumindest zu verschieben, wenn nicht preiszugeben. Im Zusammenhang mit den Konflikten und Entwicklungen im Stadtteil, in den auch die jetzige Frage um die Zukunft der Flora gehört, wurde von Seiten des Projekts bisher das Zusammenspiel von Integration/Partizipation einerseits und Verdrängung/Repression anderer-seits als funktionale Bestandteile eines Prozesses begriffen und kritisiert Statt deshalb von uns aus die Flora zum verhandelbaren Problem zu erklären, sollten wir einiges daransetzen, die anstehenden Konflikte um die Zukunft des Projekts als den Ort zu bestimmen, an dem die jahrelange Auseinandersetzung um Repression und Vertreibung und die Umstrukturierung des Viertels aktuell zugespitzt werden kann.

  3. Selbstverständnis – Eine Skizze

Die Rote Flora besitzt eine gewisse politische Außenwirkung. Das eröffnet, wie dargestellt, die Möglichkeit zur Intervention in gesellschaftliche und politische Konflikte. Gleichzeitig ist das aber nur möglich, weil es ein bestimmtes Selbstverständnis gibt, das der Struktur des Projekts als selbstverwaltetem und selbstbestimmtem autonomen Zentrum zugrunde liegt.

Die Rote Flora hat in der bestehenden Form das Potential, ein Versuchsfeld für emanzipatorische Veränderungen sozialer Verhältnisse zu sein.

Was heißt das? Sie kann ein Raum mit folgenden Eigenschaften sein:

  • Hierarchien unter den NutzerInnen sind nicht schon per se, aus juristischen und ökonomischen Gründen vorgegeben.

  • Politische Positionen, die gesamtgesellschaftlich nicht mehrheitsfähig sind, können hier entwickelt und vertreten werden.

  • Der Betrieb des Hauses orientiert sich nicht zwangläufig aus der Logik des kapitalistischen Marktes. Es ist finanziell möglich und politisch gewollt, kostenlos Räume für Gruppen und Veranstaltungen bereitzustellen, andere Projekte zu unterstützen und für Vokü und Musik-veranstaltungen günstige Preise zu halten, bzw. solche Angebote auch den Menschen zur Verfügung zu stellen, die sie nicht bezahlen können, ohne daß deren Anspruch geprüft würde.

  • Selbstorganisierung und Selbstbestimmung sind möglich, da die staatliche Gewalt keinen unmittelbaren Einfluss auf Diskussionen und Strukturen ausübt.

  • Der gemeinsame Bezug auf bestimmte Essentials (Antisexismus, Antirassismus,..) eröffnet den Raum für einen emanzipatorischen Umgang mit sozialen Konflikten und bietet den einzelnen einen gewissen Schutz vor Grenzverletzungen.
  4. Vorgeschichte: Verhandlungen 92/93 und die “Lehren”

Auch wenn es schon fast 8 Jahre her ist, aber die Flora hat bereits einmal Verhandlungen mit der Stadt geführt. Nach der Besetzung der Flora im November 1989 wurden Verhandlungen zwischen dem Plenum und den direkt politisch Verantwortlichen (Senat) gefordert, die Akzeptanz des Flora e.V. als alleinigem Träger, Zur-Verfügungstellung von Sanierungsgeldern, um in Eigenleistung eine Instandsetzung auf einfachem Niveau zu ermöglichen, sowie eine lediglich symbolische Miete/Pacht. Abgelehnt wurde eine regelmäßige Förderung des Projekts mit staatlichen Geldern, um eine maximale Autonomie von staatlicher Einflußnahme zu haben.

Damals war die Einschätzung, daß der Senat über kurz oder lang eine Beendigung des politischen Projekts anstreben würde der damalige Innensenator Hackmann mahnte nach eigenen Worten regelmäßig den “rechtsfreien Raum” Flora im Senat an, auch der damalige VS-Chef Lochte riet mehrfach öffentlich via Presse zur Räumung der Flora. Gestalt nahmen diese Strategien von Seiten des Senats im August 1992 an, als die damalige Senatorin für Stadtentwicklung Müller mit der ultimativen Forderung nach Vertragsabschluß binnen 6 Wochen an die Flora herantrat, sonst drohe die Räumung des Hauses.

Vor dem Hintergrund der eigenen Forderungen und in der Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse gab es damals die Entscheidung, zunächst in diese Verhandlungen einzusteigen. Angesichts der damals bereits auch schon seit über zwei Jahren geführten Debatten um Verträge wurden Konsenspunkte auf dem Plenum entwickelt, die in Verhandlungen nicht zur Disposition gestellt werden sollten eher sollte dann eine Räumung in Kauf genommen werden.

Trotz der Energien und dem Engagement, das in diese Verhandlungen gesteckt wurde, haben sich damals deutliche Grenzen der Durchsetzbarkeit unserer Vorstellungen gezeigt. Soweit mensch das heute behaupten kann, wäre von der Flora die Zahlung einer “normalen” Miete doch akzeptiert worden, mit Einschränkungen hätte ein zweiten (stadtnaher) Träger zumindest Teile der Flora mitgenutzt. Trotz dieser Zugeständnisse der Flora fiel aber nach annähernd einem halben Jahr Verhandlung der Senat nach Intervention der Innenbehörde plötzlich fast auf den konfrontativen Ausgangspunkt vom August 1992 zurück. – Hätte damals nicht der Senat, wegen einer Wiederholung der Bürgerschaftswahlen per Gerichtsbeschluß, die Verhandlungen abgebrochen, wäre es entweder zu irgendeinem von einem eilig tätig gewordenen Vermittler erzielten Kompromiss gekommen, in dem die Idee der Flora bis zur Unkenntlichkeit entstellt gewesen wäre; oder am Ende hätte vermutlich die Räumung gestanden.

Seitdem sind einige Jahre vergangen, die Flora hat Höhen und Tiefen erlebt und besteht seit nunmehr 11 Jahren. Faktisch ist das Projekt heute durchgesetzt. Diesen (Zu)Stand versucht der Hamburger Senat und der Bezirk Altona jetzt aber erneut in Frage zu stellen. Inwiefern das so ist, wird im nächsten Abschnitt skizziert.

  5. Aktuell. Verhandlungen 2001 und die “Gefahren”

5.1. Vertrag als Eingriff in die Praxis

Die zur Zeit vorhandenen strukturellen Bedingungen, die andere Formen des Umgangs miteinander auf sozialer und auch materieller Ebene ermöglichen, würden mit einem Vertrag verschwinden oder zumindest stark begrenzt. Die Idee einer selbstbestimmten, gleichberechtigten Gesellschaft könnte nicht mehr praktisch erprobt werden.

Das erste, was ein Vertrag mit sich bringt, ist der Umstand dass er unterschrieben werden muß. Und daraus folgend eine strukturelle Hierarchisierung. Die UnterzeichnerInnen tragen die Verantwortung für die Einhaltung der Vertragsauflagen, was einen emanzipatorischen Umgang erschwert bis unmöglich macht.

Da jeder Vertrag auf geltendem Recht basiert, können politische Meinungen, die der herrschenden Politik widersprechen, nicht mehr so ohne weiteres vertreten werden. Die politische Handlungsfähigkeit wäre damit stark begrenzt. Ein Beispiel hierfür wäre die

Schwierigkeit, eine Praxis, die z.B. mit der Bereitstellung von Aufenthaltsmöglichkeiten versucht, KonsumentInnen illegalisierter Drogen zu unterstützen, fortzusetzen.

Um eine regelmäßige Miete zahlen zu können, müßten früher oder später vielleicht Angebote wie Volxküche ( Bezahlen nach Selbsteinschätzung) oder die kostenlose Nutzung von Räumen und Soliparties/-konzerte eingeschränkt oder eingestellt werden. Somit wäre der politisch-ökono-mische Anspruch, den das Projekt Flora in solchen Fragen erhebt, dahin.

Ohne diese Punkte an dieser Stelle ausführlich zu diskutieren, läßt sich absehen, daß die Vertragsform des Projekts einen enormen Einschnitt bedeuten würde. Dieser Eingriff in die Praxis ist selbstverständlich von Seiten der Stadt nicht unbeabsichtigt. Deshalb noch einiges zum Thema “Befriedung”:

5.2.Vertrag und Befriedung

Eigentlich konnte der Hamburger Senat in den vergangenen Jahren ganz gut mit der Flora leben, denn die Existenz eines autonomen Zentrums und die linksradikale Politik in dieser Stadt stellt zur Zeit (leider) keine ernstzunehmende Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar. Dennoch änderte sich die Windrichtung in den letzten Jahren meklich “Law and order” und “subjektive” wie “innere Sicherheit” haben sich in den unterschiedlichsten Facetten zum politischen und publizistischen Dauerthema entwickelt. Auch Rot-Grün ist auf Länder- und Bundesebene deutlich um Profilierung auf diesem Gebiet bemüht. Zusätzlich kommt beständig Druck von der konservativen Opposition, in Hamburg seit neuestem verstäkt durch den reaktionären Populismus Schillscher Prägung.

Vor dem Hintergrund der letzten Jahre – der Stilisierung der Flora zum Ort autonomer Gewalt und permanenten Gesetzesbruchs (Drogenszene, Randale,…) – und im Schatten des bevorstehenden Wahlkampfs, ist die Rede vom “rechtsfreien Raum” symbolisch hoch besetzt.

Unter diesen Vorzeichen verstehen wir das Vertragsangebot als einen Befriedungsversuch. Dahinter steht der Wille, endlich Verantwortliche und GesprächspartnerInnen für die Flora greifbar zu haben, um über diese und über die Bindung an die Rechtsform eines Vertrages die Druckmittel und die Handhabe zu bekommen, um das Projekt besser kontrollieren und politisch beschneiden zu können. Dafür ist es in gewissem Maße sogar unerheblich, wie viele konkrete Spielräume wir in Verhandlungen vielleicht noch offenhalten könnten, denn jeder Vertrag bedeutet einen Zugewinn an Sanktionsmöglichkeiten, die jenseits der auch jetzt bestehenden Kriminalisierangsoption und des Strafrechts liegen.

Zugleich muß der Vertrag für die Stadt so gestaltet sein, daß er auch rechten HardlinerInnen gegenüber als deutlicher Fortschritt im Engagement gegen die “Rechtsfreiheit” zu verkaufen ist. Allzu offenkundige Zugeständnisse an Linksradikale kann sich Rot-Grün im kommenden Wahlkampf nicht erlauben.

Unter diesen Vorzeichen schätzen wir unsere Stärke, einen akzeptablen Vertrag durchzusetzen als zu gering ein – mal abgesehen von ganz grundsätzlichen Überlegungen, die dem entgegenstehen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen 1992/93, in denen die Plenumstruktur wesentlich verbindlicher, politisch klarer strukturiert war und deswegen die Gefahr bloßer Vereinnahmung und Integration noch eher hätte abgewehrt werden können, stehen wir heute an einem anderen Punkt. Dazu kommt, daß die konkrete Situation damals eine andere war. nach “3 Jahren” Roter Flora war die Zielvorstellung nach Sicherung des Projekts vorherrschend – darum kann es heute aus unserer Sicht nach über 11 Jahren nicht mehr ernsthaft gehen. Die Flora ist für uns durchgesetzt sie muß ihre “Legitimität” nicht mehr in von der Stadt gesetzten Verhandlungen beweisen. Auch wenn hier natürlich nicht Friede, Freude, Eierkuchen ist, das ist aber nicht auf dem Feld von Verhandlungen zu lösen….

Aus allem Gesagten ergibt sich für uns, daß Verhandlungen wie Verträge abzulehnen sind.

Die Thesen, die diese Position noch einmal knapp auf den Punkt bringen, fanden sich ganz zu Beginn dieses Textes.

Weiter gehts mit Szenarien und Handlungsoptionen:

  Szenarien

Abschließend soll noch skizziert werden, welches die ersten Schritte nach einer Entscheidung gegen Verhandlungen sein könnten. Wie sich, nach dieser ersten Phase, die Lage weiter-entwickelt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Welche möglichen Linien – ob wahrscheinlicher oder eher unwahrscheinlich – die Stadt entwickeln könnte, und wie wir uns darin, oder unabhängig davon selbst weiter entscheiden könnten, soll dann noch kurz vorgestellt werden.

  Der erste Schritt

Es würde darum gehen, möglichst vor der Gegenseite öffentlich zum Vertragsangebot Stellung zu beziehen. Das hätte mehrere Vorteile: Wir bestimmen den Zeitpunkt Eine klare Ansage unsererseits würde ggf. erst mal dazu führen, daß sich Hornauer und Senat mit zu erwartender Kritik von Seiten CDU, PRO, rechten SPDlern, Springer-Presse, … rumschlagen müssten. Das birgt zwar den Nachteil einer Dynamik, die sich negativ für uns auswirken kann (“harte Linie” bekäme wahrscheinlich Aufwind, Handlungsdruck für die Stadt würde steigen), andererseits hätten wir damit aber auch Publizität und etwas Raum, uns um Vermittlung und Unterstützung zu bemühen, statt in vielen kleinen taktischen Erwägungen (Wie kann wer hingehalten werden?) Zeit zu verlieren. Darüberhinaus wäre damit die Gelegenheit gegeben, den Konflikt inhaltlich mitzubestimmen, statt uns nur gegen Hetze verteidigen zu müssen. Insgesamt birgt dieses Setting natürlich viele Unbekannte.

  1. Positionsvermittlung:

    Erster Schritt Öffentlichmachen der Entscheidung und zwar a) im Rahmen einer Pressekonferenz und b) zeitgleich über einen sehr breit verteilten Text, der die Position vermittelt. (Längeres Faltblatt) Die Vermittlung sollte sich grob an zwei Eckpunkten orientieren: 1.Angesichts der Entwicklungen im Stadtteil und der sich durchsetzenden Dynamik von Integration und Repression soll unsere Entscheidung als politisches Signal verstanden werden. – Flora ist kein “lösbares Problem”. 2.Flora ist nicht “verhandelbar”: Die Flora muß sich nicht über Verträge legitimieren. Wir verstehen die Offensive der Stadt als Angriff auf das Projekt und stellen dem unsere eigenen Vorstellungen entgegen.

  2. Unterstützung organisieren:

    Möglichkeiten für unterschiedliche Spektren eröffnen, sich in dieser Frage solidarisch mit der Flora zu erklären. Grob skizziert kämen zunächst drei Interessensgruppen in Frage, die wahrscheinlich aus unterschiedlichen Motiven ansprechbar wären: Linke/linksradikale Strukturen in HH, als deren Teil sich die Flora versteht

    Der große diffuse Kreis derer, die irgendeinen, nicht unbedingt politischen Bezug zur Flora haben, sondern den Kasten z.B. von Veranstaltungen kennen und von daher ein Interesse entwickeln könnten, das Haus zu erhalten, insofern klar ist, daß das nur zu unseren Bedingungen und nicht mit einer Vertragslösung zu machen ist. Zusätzlich/damit verbunden, diejenigen, für die an einer solchen Frage eine Politisierung vorangetrieben werden könnte. Kritische aber nicht unbedingt radikale Zusammenschlüsse, die an den Themen (Öffentlicher Raum, Sozial- und Drogenpolitik, Rassismus, Umstrukturierung,…) arbeiten, die den Kontext der Entscheidung gegen Verträge ausmachen. Für Gruppierungen wie die SoPo und andere als mgl. AnsprechpartnerInnen könnte es vermittelbar sein, daß Flora es wesentlicher findet, die Auseinandersetzung um die “Vierteldynamik” zu führen, als die eigene Existenz legal abzusichern.

    Ziel wäre, die Unterstützung für die Flora personell und thematisch möglichst breit zu organisieren und im Rahmen einer solchen Kampagne, Raum für die Schwerpunkte anderer Gruppen zu schaffen.

  3. “PR-Arbeit: Radiosendung, Plakatserie, Postkarten, Unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen in der Flora und anderswo,…. Es gibt viele Möglichkeiten.

  Was passiert dann? 7 Varianten zur freien Variation
  1. Business as usual

    Wir entscheiden uns, nicht in Panik zu verfallen, machen handfeste Öffentlichkeitsarbeit und setzen ansonsten unsere Alltagspolitik fort. (Denkbar wäre, demonstrativ zu vermitteln, daß wir vom Erhalt des Projekts ausgehen, indem wir beispielsweise im Rahmen einer großangelegten Bauwoche die längst überfälligen Renovierungsmaßnahmen durchführen.)

  2. Es geschehen noch Zeichen und Wunder

    Aus unwahrscheinlichen Gründen entscheidet sich die Stadt, die stillschweigende Duldung des Projekts fortzusetzen und kommt mit dieser Linie trotz des Wahlkampfs durch.

  3. “Das letzte Gefecht

    Unsere “Provokation” wird mit Gegenprovokationen beantwortet, es ergehen erst dringliche Appelle und Ultimaten, dann Räumungstitel. Wir mobilisieren gegen die Räumung, großes Polizeiaufgebot, Auseinandersetzungen und ein möglichst eleganter Abgang unsererseits folgen.

  4. Sudden death

    Die Gegenseite erspart sich die Mühen rechtlicher und politischer Auseinandersetzungen und einer langangelegten Mobilisierung unsererseits. Sie setzt selbst den Punkt, indem sie einen nichtigen Vorwand (Lärmbelästigung) sucht, um nach SOG die Bullen ins Haus zu schicken. Vielleicht verzichten sie auch auf den Vorwand und präsentieren uns eines frühen Morgens vollendete Tatsachen. Eine sehr unangenehme Vorstellung, weil sie uns, zumindest für den Zeitpunkt der Räumung, jede Handlungsoption nimmt.

  5. Die Abseitsfalle

    Wir kommen zu der Entscheidung, weder auf eine angekündigte Räumung zu warten, noch Kräfte im nächtelangen Warten zu verschleißen und bestimmen selbst Form, Ort und Zeitpunkt der Auseinandersetzung/Eskalation. Phantasievolle und überraschende Effekte sind vorstellbar. Der Ausgang des Ganzen ist relativ gewiß, nur gäbe es idealerweise einen nützlichen Mobilisierungseffekt für die Folgezeit.

  6. Die gute Tante

    Irgendwelche Dritten mit Sympathien für unser Projekt, dem nötigen Kleingeld und einer gewissen Reputation bei der Stadt mischen sich in die Auseinandersetzung. Eine Übernahme des Hauses (Kauf, Einrichtung einer Stiftung o.ä.) wird angeboten, verbunden mit der Möglichkeit für uns, das Projekt weitgehend weiterzuführen wie bisher.’Die Bewertung einer solchen Option ist zum jetztigen Zeitpunkt schwierig und ließe sich wohl erst in der entsprechenden Situation fundiert treffen.

  7. Trojanisches Pferd

    Wir erklären irgendwann von uns aus das Projekt Flora für beendet und bieten das Haus anderen akzeptablen Gruppen/Projekten aus dem linken Spektrum an.

Arbeitskreis Medicas


[K]eine Flora mit Verträgen?

  [K]eine Flora mit Verträgen?


Die seit 11 Jahren andauernde Besetzung der Roten Flora wurde all die Jahre (mit Unterbrechung 1992, als vergeblich mit der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller um eine vertragliche Lösung gerungen wurde) vom Senat mehr oder weniger stillschweigend geduldet. Die ruhigen Zeiten scheinen beendet, Senat und Bezirk drängen seit Mai diesen Jahres erneut auf eine Beendigung des illegalen Status. Der Altonaer Bezirksamtschef Hornauer sandte der Roten Flora mit Rückendeckung durch den Senat einen Vertragsentwurf zu, der eine Grundlage für Verhandlungen sein soll. Die Knackpunkte dieses Vertragswerkes sind neben möglicher Haftbarmachung von Verantwortlichen v.a. das Untersagen von politischen Plakatwänden an der Fassade und die Verpflichtung, die Drogenszene um die Rote Flora nicht zu dulden.

Nicht erst seitdem gährt in der Flora ein Prozess, zu einer Entscheidung über Verhandlungen und Vertrag zu gelangen. Im wesentlichen existieren zwei Positionen: Die einen lehnen Verhandlungen über Verträge strikt ab, während die anderen an dieser Frage die Existenz der Flora nicht aufs Spiel setzen wollen.

Wir sprachen mit vier AktivistInnen aus der Roten Flora. Wie schön das ihr gekommen seid, vier GesprächspartnerInnen für uns. Fangen wir an mit der Frage der Bilanz von elf .fahren Rote Flora. Was haben Euch diese elf Jahre bedeutet, was ist das wesentliche für Euch an der Flora?

Anne: Also ich kenn die Flora ja nicht von Anfang an, sondern bin erst später dazugekommen Flora stand für mich als ein besetzter Raum als was Widerständiges. Deswegen bin ich eben auch nicht in der Motte gelandet sondern hier.

Was ist denn für dich der Unterschied zwischen Motte und Flora?

Anne: Bei der Motte war zum Beispiel von vorne herein klar, dass die über bezahlte Stellen funktioniert.

Norbert: Ich bin seit Anfang an dabei, mehr oder weniger schon seit dem Widerstand gegen das Phantom der Oper. Für mich ging es anfangs unter diesem Schlagwort “Flora für alle’ darum. ein Zentrum für den Stadtteil zu machen. Ich bin auch erst über die Flora in so autonome Politik reingekommen. Die Sachen haben sich aber verändert m den Jahren. Es hat sich auf jeden Fall insoweit verändert das wir diese Öffnung ganz nach außen und in den Stadtteil rein fast gar nicht mehr machen. Aber das Eingreifen in den Stadtteil ist mir nach wie vor wichtig, anfangs im Bereich Umstrukturierungpolitik und später im bereich Drogenpolitik.

Stefan: Ich kenne die Flora auch von Anfang an. Ich fand die Flora zum einen nichtig. Weil sie tatsächlich im Zusammenhang stand zu einer Verhinderung des Phantomprojektes und mir das damals wichtig war, eben nicht nur gegen etwas zu sein. sondern auch noch mal eine eigene Perspektive zu öffnen für Vorstellungen von Stadtteilkultur, von einem öffentlichen Ort, der nicht, wie das Phantom es damals sollte, allein unter kommerziellen Kriterien funktiomert. Insofern kann ich nach elf Jahren Roter Flora für mich eine positive Bilanz ziehen. Ich finde, dass wir es geschafft haben zum einen, Formen linksradikaler Politik und kulturelle Veranstaltungen zusammenzubringen. Wenn sich hier auch nicht Punker, Technofreaks und Dubcafebesucher täglich mit der autonomen Antifa in die Arme fallen, ist die Flora trotzdem ein Ort, an dem Politik und Kultur nicht unbedingt nur zwei Sachen sind die nebeneinander herlaufen, sondern die durchaus zusammen gehören können.

Ich finde, dass die Flora mit allem Auf und Ab und auch mit aller Kritik, die auch gerade immer wieder auch von außen geäußert wird, es geschafft hat, sich den üblichen Zwängen solcher Projekte zu entziehen, nämlich sich der Frage zu stellen, ab man nur noch mit bezahlten Stellen die Verantwortungen organisiert kriegt. Wir haben das bis jetzt gut hingekriegt haben und deswegen glaube ich, dass diese elf Jahre unter diesem besonderen Fokus erst mal gute Jahre gewesen sind.

Michael: Ja, ich bin sozusagen auch mehr oder weniger immer von Anfang an dabei gewesen. Am Anfang eher mit meiner politischen Gruppe, da haben wir uns eher so in Florapolitik oder Stadtteilpolitik mit eingemischt. Für mich war Flora natürlich auch zum einen in erster Linie Verhinderung des Phantomprojektes, was ja dann auch geglückt ist, auch wenn es hundert Meter weiter wieder aufgebaut wurde, und zum anderen Widerstand zur Stadtteilumstruktuierung. Eigentlich steht sie für mich auch heute noch als Symbol gegen Umstrukturierung, wobei das natürlich auch immer mehr oder weniger klappt und natürlich auch die Flora immer wieder vor der Frage stand: “Was will sie eigentlich oder in welche Richtung geht sie eigentlich?” Flora ist für mich auch nach elf Jahren alles mögliche, und das heißt auch dadurch dass Flora das ist was die Leute in sie reintragen. Und gerade im Rahmen der ganzen Modernisierung des Schanzenviertels ist die Flora auch noch ein Punkt des Widerstandes. Auch gerade in Sachen Drogendiskussion würde es hier anders aussehen, wenn die Flora nicht wäre.

Norbert: Da möchte ich dir widersprechen. Inzwischen sind wir als Flora ganz klar Teil der Umstrukturierung. Wir ziehen diese offene Koffeinfraktion hierher. Wir haben es nicht geschafft die Umstrukturierung zu verhindern. Die meisten Wohnungen sind saniert und sie werden so saniert dass die meisten Sozialwohnungen rausfallen. Die meisten Gewerbetreibenden, die im größeren Umfang hier gewerblich tätig waren, sind abgezogen. Es gibt fast nur noch den Schlachthof und diese Web- und IT-Branche hier und irgendwelche Läden. Was die Verhinderung der Umstrukturierung angeht, sind wir echt gescheitert.

Anne: Ja, aber trotzallem zeigt die Drogendiskussion und die Tatsache, dass die Vertreibung hier eben nicht stattfindet auch, dass die Flora trotz allem noch ein Störfaktor ist

Ihr seht die Flora also als Punkt der Offenheit und 0rt des Widerstands. Anlass unseres Gesprächs ist ja die neuerliche Vertragsdiskussion. Was erde sich denn ändern, wenn die Flora mit der Stadt einen Vertrag schließen würde?

Anne: Also mir geht’s erst mal um die Politikform. Die Flora hat gerade an der ganzen Drogengeschichte eine Politik betrieben, sich gegenüber den Partizipationsgremien zu verweigern, also zum Beispiel an den runden Tischen, die von der STEG organisiert sind, nicht teilzunehmen. Sie hat öffentlich gemacht wie Strukturen wie diese “Schanzenini” oder “Standpunkt Schanze” funktionieren, bei denen bestimmte Gewerbetreibende teilnehmen, andere nicht gefragt werden, aber nach außen der Anschein erweckt wird man wäre für alle offen und würde alle repräsentieren. Ich finde, der konsequente Weg einer Politik, wie wir sie bis jetzt betrieben haben, wäre man verweigert sich auch möglichern Vertrags-Gesprächen.

Also eine reine Prinzipienfrage?

Anne: Nee, es ist eine Konsequenz aus einer Politikform die jahrelang betrieben worden ist Es ist der konsequente Weg dadrin.

Michael: Für dich!

Anne: Ja, für mich, klar!

Stefan: In der Nachfrage, oh das eine reine Prinzipienfrage ist, steckt natürlich schon eine Wertung, nämlich davon auszugehen, dass es unklug ist, auf bestimmten politischen Grundsätzen zu beharren. Das ist diese Gegenüberstellung von unvernünftiger Prinzipienreiterei hier und vernünftiger Realpolitik da. Und ich finde in der Frage, ob die Flora auf so ein Vertragsangebot eingehen soll oder nicht, gehören für mich zwei Punkte klar voneinander getrennt. Der eine betrifft die Flora als Projekt mit seiner Selbstvenvaltungsstruktur und Entscheidungshndungen und dem ganzen Kram, bei dem anderen geht es um die Politik, die die Flora betrieben hat Da finde ich. klar haben wir nicht die Umstrukturierung- und Standortpolitik in Hamburg verhindern können und auch nicht im Schanzenviertel, aber so im Rahmen unserer Möglichkeiten haben wir zumindestens eine ganze Menge Bewusstseinsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit beitreiben können und sind durchaus ein Faktor in den öffentlichen Auseinandersetzungen.

Die Frage von Verträgen ist aber nicht nur eine Frage. die die Organisierung des Hauses berührt. sondern hinter diesem Vertragsangebot steht natürlich auch ganz klar ein politisches Interesse, das die politische Außenwirkung der Flora beschneiden will. Und vor diesem Hintergrund wird das sehr prinzipiell: Sieht man den Vertrag nur als einen Angriff in die Strukturen oder hungertet man eine Vertragslösung eben doch als Angriff auf unsere Politikinhalte. Und nur wenn man das beides zusammen sieht, wird’s dann eben nicht nur eine reine Prinzipienfrage, “Mit denen reden wir nicht, sondern dann geht es auch darum, ein bestimmtes Politikkonzept zu verteidigen für das die Flora steht und das man eben nicht Preis gibt, weil eben Verträge mehr als nur eine organisatorische Veränderung bedeuten.

Norbert: Prinzipiell gebe ich dir recht, aber natürlich mit einem gewissen Aber. Dieses Aber besteht für mich dadrin, dass für mich die Existenz der Flora auf Dauer nicht gesichert werden kann ohne Verträge. Ob sie mit Verträgen gesichert werden kann denk ich auch nicht, weil es wohl sehr schwer wäre, einen Vertrag auzuhandeln, der unterschreibbar ist. Mit oder ohne Vertrag hat die Flora als Gebäude eine gewisse Bedeutung für die autonome Szene in Hamburg. Es garantiert die Möglichkeit relativ viel Geld für die Szene rein zu bekommen. Wir haben die Möglichkeit große Organisationsplenas zu machen, viele Gruppen können sich hier treffen die sich sonst nirgendwo treffen können. Ich finde, das muss immer mit gesehen werden.

Das finde ich jetzt ein bisschen obskur. Entweder du gehst davon aus dass es eine Vertragsmöglichkeit gibt unter Bedingungen die du dir vorstellen kannst oder du glaubst gar nicht das es so einen Vertrag gibt, dann ist alles was du hinterher geschoben hast eigentlich nicht zu verwerten. Das ist doch genau die Frage um die es geht. Gibt es im Ernst eine Möglichkeit von vertraglicher Bindung mit der Stadt, die positive Effekte für die Flora haben kann.

Norbert: Also ich glaube es gibt keinen hier der sagt es gibt an einem Vertrag was Gutes. Es gibt bestenfalls einige die sagen, und das ist augenblicklich glaub ich die kleine Minderheit, wr kommen um Verträge nicht drumrum und müssen uns zumindest auf Verhandlungen einlassen, weil sich das besser politisch ausschlachten lässt. Das gilt auch für ein Scheitern der Verhandlungen. Ich glaube nicht das es irgend jemanden gibt der sagt, prima, wir kriegen ein neues Dach und kriegen die Stereoanlage und das ist was tolles und außerdem wird dann die Treppe und der Gehweg auch noch von der Stadtreinigung gereinigt. Ich glaub es gibt niemanden der das als positiv sieht.

Gut, und was würdest du dann anbieten, wo ist deine Schmerzgrenze?

Norbert: Ich hab natürlich keine Paragraphen im Kopf. Aber für mich wär das einzige eigentlich so eine Art Überlassungsvertrag, wie wir den mal hatten, und am liebsten noch über eine dritte Person, die auf den Malediven sitzt und weht greifbar ist. Ansonsten halt das übliche: keine bezahlten Stellen, kein Eingriff von außen in die oder auf die innere Struktur, kein Eingriff in das äußere Ansehn des Gebäudes was Transparente anbelangt. Das kann ich mir alles nicht vorstellen, dass man das zulassen kann. Das einzige was man vielleicht zulassen kann ist das es saubere Klos gäbe oder neue Auflagen für Rattenfallen oder so.

Michael: Ich bin ja ein Vertreter der sich durchaus erstmal Vertragsverhandlungen vorstellen kann und die Hoffnung nicht aufgibt einen Vertrag zu bekommen der uns politisch handlungsfähig hält. Und ich denke, wir sind im Moment in einer Position, in der noch relativ viel mitzubestimmen ist. Nur weil die Stadt uns jetzt einen Entwurf geschickt hat sollten wir jetzt nicht wie der Hase vor der Schlange sitzen und abwarten was sie machen. Mir wär’s natürlich auch lieber ohne Vertrag, dass das so alles weiterläuft, aber ich seh halt keine Zukunft ohne Vertrag. Für mich steht, wenn wir keine Vertragsverhandlung eingehen, am Ende immer die Räumung.

Und hast du dir denn dann schon Gedanken darüber gemacht wie so ein Vertrag aussehn kann.

Michael: Gedanken ja, hab ich mir schon gemacht. Wir waren ja neulich an tour und haben verschiedene Projekte besucht in Süddeutschland. Und mich hat das nur noch mal darin bestätigt, dass vertragliche Lösungen möglich sind. Wir haben uns die Verträge kopiert, die haben teilweise Pachtverträge oder Mietverträge, in denen auch so Klauseln drinstanden, dass z.B. keine Transparente rausgehängt werden dürfen. Sowas haben die dann halt rausgekickt während der Verhandlung. Das ist für mich halt die Frage, in wie weit wir das hier nicht auch umsetzen können, solche Knebelsachen rauszukicken. Zentral bleibt für mich, dass es keine bezahlten Stellen geben wird und auch keinen Modernisierungszwang, also dass wir jetzt unbedingt unsere Fassade anmalen müssen.

Anne: Man kann bei diesen Verträgen, die anstehen, die Drogepolitik nicht raushalten. Im Vertragsentwurf der Stadt wird ja verlangt, dass wir die offene Drogenszene ums Haus vertreiben müssen, fair müssten also selber anzeigen, denunzieren, usw. Diese Kuh wird man nicht vom Eis kriegen. Das ist auch mehr als Spekulation, dass das ein nicht verhandelbares Thema sein wird. Und ich finde da braucht man sich nicht auf Diskussionen einlassen, sondern muss sich verweigern. Ich würde ja gerne eine öffentliche Diskussion lostreten, die dazu führt, dass ganz viele Leute hinter der Flora-Position stehen und dadurch eine Räumung nicht so einfach machbar wäre. Und die dazu führen würde, dass selbst wenn eine Räumung dann laufen würde, die Leute weiter aktiv bleiben. Dann eben nicht mehr schön in einem Haus, sondern schön verteilt über den ganzen Stadtteil. Das wäre für die Gegenseite auch viel schwieriger, und das wissen die auch. Ob das dann tatsächlich läut, das ist Spekulation, aber das wäre meine Hoffnung dadrin und dann wären wir erst recht unkontrollierbar, was wir bis jetzt über die Flora im Endeffekt doch immer so ein bisschen auch sind.

Und ganz unabhängig vom äußeren Druck, sind wir einfach schon seit 2 1/2 Jahren an Vertragsverhandlungen und ich fände, das wäre mittlerweile einfach für die Flora eine Stärke sich auf eine Position zu einigen.

Ihr seit seid 2 1/2 Jahren an Vertagsverhandlungen?

Anne: Ja, intern, es gab in dieser Zeit immer wieder VVs zu dem Thema, nur ein

Vertragsentwurf lag damals noch nicht vor. Wir haben aber in der andauernden Diskussion keinen Konsens gefunden und es ist meiner Meinung nach an der Zeit, sich mal endlich auf einen Weg zu einigen, um überhaupt eine Stärke entwickeln zu können.

Aber bis petzt sieht das doch mit dieser öffentlichen Diskussion, mit diesem öffentlichen Druck fier die Flora ziemlich mau aus. In der Flora köchelt seit zwei Jahren die Diskussion doch ohne Außenwirkung vor sich?

Stefan: Also ich sehe das anders. Dass die Vertragsdiskussion bisher vielfach so schleppend gelaufen ist, liegt daran, dass hier niemand große Sehnsucht nach Veträgen hat. Ich glaube. dass viele Nutzende der Flora erst mal ein funktionierendes Gebäude erleben, eine funktionierende Struktur. Ich denke sogar, nicht wenige glauben, dass wir ohnehin hier irgendwelche Verträge haben und die wissen gar nicht, dass wir hier seit elf Jahren zumindest geduldet sind ohne Verträge. Selbst innerhalb der regelmäßig nutzenden Gruppen hat die Vertragsdiskussion ja bisher keine großen enthusiastischen Beteiligungen ausgelöst, weil’s immer als etwas abstraktes empfunden wurde. Es spielt in Realität in dem alltäglichen Betrieb einfach für uns keine Rolle. Der Laden funktioniert einigermaßen, es läuft hier was über das ganze Jahr, es sind Leute da, die dafür sorgen, dass die Flora eine Außenwirkung hat. Dass diese immer mehr sein könnten versteht sich von selber.

Ich glaube auch, dass im Moment verschiedene Fraktionen auf der Senatsebene agieren. Ich glaube dass das Bezirksamt Altona, in dem Fall repräsentiert durch den Bezirksamtsleiter Hornauer, dass die ganz klar für eine Integrationslösung stehen. Die Betonfraktion in der Politik möchte die Flora durch eine Räumung platt machen, der Bezirk Altona möchte uns platt machen, indem wir sowas wie ein besserer Hippiezoo mit alternativem Kulturanstrich werden sollen. Deswegen hat der Bezirk gegenüber der Flora in den letzten Jahren auch einen Kurs gefahren, der als moderat zu bezeichnen ist. Sie haben immer wieder versucht, den Eindruck zu vermitteln, als wenn es eine Gesprächskultur mit den FloranutzerInnen gibt. Also auch ein bisschen als Schutzbehauptung, um eben auch den Angriffen von rechts Paroli bieten zu können. Diese Gespräche hat es in dieser Form de facto nicht gegeben. Aber es gibt schon von Seiten des Bezirks das Bemühen, da etwas herbeizureden. Und es ist relativ klar, dass der Bezirk Altona jetzt für dieses Vertragsangebot politische Rückendeckung vom Senat bekommen hat, aber schon mit einer Ansage, also ihr könnt das jetzt noch mal im Guten versuchen, sollte aber die ausgestreckte Hand mit der geballten Faust beantwortet werden, dann wird sicherlich auf einer anderen Ebene eine Antwort formuliert werden. Die dürfte dann allerdings auf der Senatsebene, bzw. auf Ebene der Innenbehörde in aller erster Linie liegen. Und dass es dann sehr eng wird, noch mal einen Raum zu öffnen und ein möglicherweise dann anlaufendes Räumungsszenario zu stoppen, ich glaube, dass dann die Chancen täglich oder wöchentlich sinken werden. Zumal ja die CDU bereits angekündigt hat, die offenbar bis jetzt gar nichts weiß von diesem Vertragsangebot, eben ab Januar auch da öffentlich Druck machen zu wollen, indem sie nämlich einfach nachfragen “was ist eigentlich los da im Schulterblatt und was ist denn mit den Versprechungen des Senats eine vertragliche Lösung herbeizuführen”. Und dann wird auch die Presse auf der Matte stehen und dann dürfen wir uns sicher sein, dass sich das Thema Flora wieder bald auf den ersten Lokalseiten wiederfindet.

Es ist einfach davon auszugehen, dass die Gegenseite ein zeitlich abgestimmtes Szenario hat und dass die ihre Chancen auf eine Integrationslösung mit Nachdruck ausgeloten. Würden wir überhaupt in Verhandlungen einsteigen, hätten wir erst mal auf jeden Fall Zeit gewonnen. Werden wir das nicht tun, dann werden wir sicherlich eine letzte Frist mit einer entschlossenen Warnung übermittelt bekommen und danach wird tatsächlich eine Dynamik in Gang gesetzt werden, die möglicherweise versucht, das Projekt Flora bis April, Mai irgendwie zu entschärfen, was auch immer das dann im konkreten heißen mag. Der rot-grüne Senat will für die Bürgerschaftswahl den Rücken frei haben. Das ist glaub ich erst mal das Vorzeichen, unter dem jetzt aktuell die Vertragsdiskussionen stehen.

Wenn die Flora sagt, wir gehen nicht in die Verhandlungen, das könnte man ja politisch für viele nachvollziehbar begründen. Wie seht ihr die Möglichkeit den öffentlichen Druck zu schaffen den es dann braucht um das durchzusetzen. Die Angst dass das Gebäude nach einer Räumung weg ist, ist ja nicht aus der Luft gegriffen, sondern die Möglichkeit besteht ja. Also die Frage ist wie ist die Flora unter solchen Vorzeichen zu verteidigen?

Anne: Also erst mal müsste so eine öffentliche Diskussion überhaupt ins Laufen kommen, d.h. es müssen sich erst einmal mehr Leute dran beteiligen. Im Augenblick weiß ich gar nicht ab das Eingreifen von Seiten des Senats nicht für sie nach hinten los geht. Bei einem breit geführtem Diskussusionsprozess wäre ein platter Schnellschuss wie Räumung auch nicht unbedingt wahlkampffördernd. Also ich glaube es muss eine öffentliche Diskussion losgetreten werden wo aber noch nicht klar ist mit wem führt man die, mit wem Mut man die nicht, wo sind Bündnispartner. Also Jetzt doch der vielgeschmähten Volksgemeinschaft Schanzenviertel die Hand reichen’

Anne: Nö, nicht unbedingt der Volksgemeinschaft Schanzenviertel. Erst einmal Idyll ich die Florainteressierten in einen Diskussionsprozess einbinden Diejenigen, die früher Flora gemacht haben und Menschen die heute die Flora auf irgendeine Art und Weise nutzen oder konsumieren.

Michael: Das ist jetzt ja gerade das Problem Wie geht man überhaupt nach außen? Sagt man jetzt wir wollen keine Verträge, das die meisten Menschen wohl nicht verstehen werden’? Also ich glaub so das Liberallala-Spektrum wird schon sagen Warum macht ihr keine Verträge”. Die Herrschenden stehen auch unter Druck, das unter Dach und Fach kriegen zu müssen und a üben auch ziemlich viele Zugeständnisse machen Die Hafenstraße ist ja auch nicht ohne Verträge durchgesetzt worden sondern da war auch immer der Tenor Vertrage und nicht räumen Niemand wird für uns auf die Straße gehen und fordern ..Keine Verträge für Flora und trotzdem Erhalt”. sondern Bestandssicherung für Flora über Verträge.

Stefan: Also wir sind auch nicht mehr 1987 zu seligen Hafenzeiten, ins den gesellschaftlichen Rahmen angeht Dazu kommt, dass die Flora ja schon mal Vertragsverhandlungen geführt hat. Wir haben von den gescheiterten Verhandlungen 1992/93 eine relativ authentische und auch umfangreiche Erfahrung. Wir durften damals direkt mit der Senatorin verhandeln und die Flora als Projekt hat von daher das politische Wissen darum, was für eine Dynamik. Vertragsverhandlung auch bedeuten; wie sehr man da ins Schwimmen gerät, weil eben genau diese Mechanik der Salamitaktik greift. Man fängt halt an, bestimmte Sachen zur Verhandlungssache zu machen und in dem sie dann Verhandlungergebnisse sind, muss man auch möglicherweise Abstriche machen. Und wenn innige erst mal in diesem Prozess drin ist, dann wird es scher, nach der Logik des kleinsten Übels nicht doch die eine oder andere Kröte zu schlucken, um das imaginäre und vermeintlich große Ganze zu retten Ich befürchte, dass wir dieser Dynamik als politisches Projekt überhaupt nicht gewachsen sind, nämlich weil eben gerade nicht mehr 1987 ist.

Und zur Frage der Öffentlichkeit sage ich mal provokant Mir ist an einigen Punkten die Öffentlichkeit egal. Die Flora hat sich tatsächlich. da mein ich den vorhin gefallenen Begriff der Viertelvolksgemeinschaft, im Zusammenhang mit der ganzen Drogenproblematik ja nicht ohne Grund sehr bewusst im Widerspruch zur Mehrheitsstimmung im Stadtteil gestellt. Das fand ich auch damals richtig. Und ich finde, dass nun gerade die Frage nach Verträgen ein ureigenstes Problemfeld unserer politischen Vorstellungen von Selbstorganisation berührt Ich fände es an diesem Punkt richtig, sich möglicherweise in den Widerspruch zu einer Mehrheitsstimmung zum Beispiel im Viertel zu setzen. Sonst wäre das der Sieg einer Logik, die eine Grünen-Bewegung von außerparlamentarischer Opposition in den 70ern über den Einmarsch in den Bundestag in den 80er Jahren bis hin zum Kosovo-Krieg geführt hat. Das ist die Logik einer Biographie von Grünenpolitikern wie Angelika Beer oder Jürgen Trittin und ich finde, dass die Flora – es geht jetzt hier nur um einen strukturellen, nicht um einen inhaltlichen Vergleich – an dem Punkt mal ein bisschen politische Reflexion walten lassen und sich so einer Integrationsfalle verweigern sollte. Das mag dann im öffentlichen Diskurs als Prinzipienreiterei, als “Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-gehen-wollen” denunzierbar sein, aber ich finde, dann muss ein Projekt wie die Flora auf dieser Ebene gegen die Wand fahren, weil in der Verweigerung mehr Politikfähigkeit letztendlich liegt, als in dem Versuch mitzuspielen und zu glauben, man könne hier irgendwie mit dem Kalkül des kleinsten Übels hier irgendwas retten, um eine Minimalstruktur am Leben zu halten. Ich halte das für den falschen Weg

Anne: Bist du jetzt gegen Öffentlichkeit?

Stefan: Mir ist die Öffentlichkeit nicht so wichtig. Ich bin natürlich dafür dass wir mit dem wofür wir inhaltlich stehen auch nach außen treten, dafür auch werben. Aber die Reihenfolge ist mir wichtig. Es nützt nichts über Öffentlichkeit zu reden, wenn nicht klar ist was wir der Öffentlichkeit eigentlich erklären wollen.

Michael: Was du gerade gesagt hast, behauptet in uns allen stecke so ein kleiner Grüner oder ne kleine Grüne. Das würde ich natürlich vehement bestreiten Ich war nie in einer Partei und hab immer autonome Politik gemacht und dementsprechend sehe ich meine Zukunft auch ein bisschen anders, oder erhoffe sie mir anders. Auch wenn ich vielleicht erstmal sage, ich geh vielleicht auch Verträge ein, habe ich inner noch die Hoffnung, mir politisch auf dieser Ebene treu zu bleiben. Dann cancel ich lieber das Projekt weil sie zu dritten mal das Transparent draußen abgenommen haben oder wir die Gehsteige nicht anmalen durften oder was auch immer. Selbst wenn in einem Vertrag steht, man darf nichts raus hängen, dann hängt man trotzdem was raus und dann kuckt man halt, wie sie drauf reagieren

Stefan: Entschuldige, aber du gibst damit die Frage über die Zukunft des Projektes ab, die Handlungsinitiative spielst du dann der andern Seite zu, indem du sie dann immer entscheiden lässt eskaliert sie jetzt an den Vertragsbedingungen oder tut sie es nicht. Und das find ich sehr defensiv, weil das in Hausmeisterei und in hektischen Plena endet, ab wir nicht doch das Transparent “Stört die öffentliche Ordnung wo ihr sie trefft” lieber umformulieren sollen. Ich hab das Gefühl, im Grunde stehn wir da an einem ähnlichen Punkt, nämlich zu sagen wir sind nicht käuflich und im Zweifelsfall lass ich’s lieber knallen Aber was ich oft in den aktuellen Diskussionen nicht nachvollziehen kann ist, warum dieser Punkt so spät, also hinter den Vertrag verlagert wird, der sowieso nicht unser Terrain ist. Und warum man dann nicht sagt, für uns ist der Vertrag an sich schon die Schmerzgrenze und nicht erst die Klauseln, über die wir dann vielleicht in einem halben Jahr abgeblich das Projekt schwer knallen lassen Für mich ist jetzt der Punkt zu sagen “Aus die Maus” und jetzt ist der Punkt wo wir sagen: ‘Bis hierher und keinen Schritt weiter”

Anne: Und wenn du sagst, “So jetzt ist hier aber meine Grenze erreicht”, dann sitzen vielleicht noch andere Leute hier die sagen, “Da ist aber meine Grenze noch nicht überschritten”. Dann fängt es spätestens da an, dass Leute sich rausziehn, weil’s dann eben doch nicht knallt. Und dieser Weg dann irgendwann eben doch ein stinknormales, mit bezahlten Stellen funktionieren des Stadtteilkulturzentrum zu sein, liegt meiner Ansicht nach sehr nahe.

Norbert: Aber wie machen das andere Zentren? Ich war jetzt nicht auf dieser Reise, aber es gibt autonome Zentren die mit Verträgen funktioniern. Das möchte ich bevor ich mich gegen Verträge ausspreche und endgültig entscheide noch mal anhören, wobei ich ja Verhandlungen immer noch als eine taktische Komponente sehe.

Anne: Aber es gibt doch einen Unterschied zu vielen Zentren die von Anfang an Verträge hatten und nicht über Besetzung entstanden sind. Bei denen die über Besetzung entstanden sind und nun Verträge haben, hat es immer Spaltungen gegeben

Michael: Ja, aber Spaltungen gibt es doch hier auch ohne Vertrag. Also zum Beispiel die Diskussion kriminalisierbare Transparente Da war auch die Befürchtung geäußert worden dass sie deswegen vielleicht durchs Haus gackern, um das abzunehmen. Die Diskussion haben wir so oder so. Generell haben wir hier Diskussionen mit oder ohne Vertrag und spalten tun sich hier auch Leute ohne Vertrag, gehen Leute auch frustriert raus Und auch die Diskussionen um aas können wir machen, was können wir nicht machen, führen wir schon jetzt.

Stefan: Aber der Unterschied darin ist, dass mir im Moment über Fragen reden, ab es taktisch richtig ist, irgendein super kriminelles Transparent rauszuhängen. Aber dann ist es aber unser Entscheidungsprozess, der nicht über Druck entsteht. Das ist doch ein Unterschied zu einer Diskussion, weil s die Klausel 10.2 im Vertrag gibt und wir deswegen die Schere im Kopf haben Und die Frage mit den anderen Zentren. will ich nur kurz entwerfen, wir sind hier nicht in Reutlingen, wir sind hier auch nicht m Frankfurt, wo’s sowieso nur diesen einen Ort linksradikaler Politik gibt, und ich finde das setzt dort eine ganz andere Kraft frei, auch mit Verträgen was hinzukriegen Die Flora von vor 6/7 Jahren, die konnte ich mir auch mit Verträgen vorstellen, weil ich den Eindruck damals hatte. dass es eine große Gruppe von radikal denkenden Leuten gibt, die auch unter Vertragen autonome Politik betreiben. Ich muss ganz ehrlich sagen, die Flora hat sich verändert und mit ihr die Konsistenz der Leute, die die Flora aktiv tragen Ich hab da einfach Sorge, ab wir dieses ständig gegenüber Vertragsverhandlungen überhaupt haben und uns eben doch langsam verkaufen würden. Es gibt ja nun mal in Hamburg auch andere Orte der Infrastruktur, die auch ohne Flora nutzbar sind. Und es ist ja nicht so ist die Flora weg, ist Hamburg ohne Ort für die autonome Szene. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Situation in anderen Städten

Hältst Du es denn für realistisch, dass es eine Struktur gibt die die Verhandlung führt?

Michael: 1992 wurde uns ja eine Frist von .blech.¿ Wochen zur Vertragsunterzeichnung gesetzt Auf diesen Repressungsversuch, der uns ganz wild und hektisch auf den Tisch flatterte, hatten wir dann genauso hektisch reagiert und beim ersten Treffen war alles super chaotisch Und dann hat sich doch irgendwie alles wieder beruhigt und die Verhandlung dauerten dann ja doch ein halbes Jahr. Vielleicht hoffe ich ein bisschen auf sowas ähnliches, dass sich schon wieder so eine Struktur landet und wir’s so machen könnten wie damals. Klar ist, dass der Verein nicht Diskussionspartner ist, sondern das Plenum oder die Vollversammlung. Und dahin wird auch alles zurück getragen und darum dauert’s auch ein bisschen langer. Und welche Leute unterschreiben könnten, ja das ist natürlich eine Frage. Darüber hab ich mir schon viel nen Kopf gemacht, aber konkret würd ich jetzt natürlich keine Personen sagen. In andren Zentren hab ich’s erlebt, da wird das sehr lax gehandhabt, da gibt’s teilweise den Vereinsvorstand, der ist aber den Leuten, die da was machen, nicht namentlich bekannt. In nem andern Zentrum muss der Vorstand auf jeden Fall im Kasten mit aktiv sein und dann haben die da noch irgendwelche Ehrenvorstandsmitglieder, das sind dann Leute von außerhalb.

Wie soll denn nun eine Flora-Position formuliert werdende?

Michael: Eigentlich gilt ja das Konsensprinzip in der Flora. Aber mir ist zu Ohren gekommen dass auf der letzten VV wohl das Mehrheitsprinzip das Konsensprinzip ablösen soll.

Bei zwei so lange gegeneinander stehenden Positionen scheint ja auch das Konsensprinzip eher unsinnig zu sein.

Michael: Also ich glaub kaum dass es dahin kommen kann dass zwei Positionen nach außen treten können, die eine für, die andern gegen Vertragsverhandlungen. Das wär ja auch fatal.

Anne: Also, erstmal ist ja noch nichts entschieden worden bei der letzten VV. Es ist nur ein Meinungsbild erstellt worden bei dem die überwiegende Mehrheit gegen Verträge war Wenn das bei so einem Meinungsbild bleibt, sollte man das auch als politischen Willen formulieren Dann müssen halt die Leute die wirklich dagegen sind und in der Minderheit waren sich überlegen wie sie damit umgehen wollen.

Und die Minderheit muss sich dann überlegen wie sie damit umgeht? Auch auf die Gefahr hin dass die dann rausgehen?

Anne: Klar, am liebsten wäre mir wenn sie den andern Weg auch mit unterstützen könnten, ansonsten nicht blockieren wurden, nicht eine andere Art von Gegenöffentlichkeit lostreten. Wenn Leute rausgehen finde ich das immer sehr schade und nicht wünschenswert, aber es ist auch eine Konsequenz.

Stefan: Ich finde wir müssen eine Entscheidung fällen, ich finde auch die Formulierung “politischer Wille” eigentlich ganz gut. Weil ich glaube, wenn die Flora an so einem zentralen, entscheidenden Punkt zu keiner eigenen Position kommt. Dann find ich, muss man die Qualitäten dieses Projektes ganz grundsätzlich in Frage stellen.

Ich hoffe das eine Entscheidung in welche Richtung auch immer, gerade nicht dazu führt, dass Leute das Gefühl haben, sie müssen jetzt gehen. Mir geht das so, dass, obwohl ich gegen Verträge und Vertragsverhandlungen bin, für mich erst mal dadrin ja nicht ein persönliches Misstrauen gegenüber den Leuten besteht, die für diese Position stehen, sondern ich finde das erst mal eine politische, inhaltliche Frage. Ich kenne die Argumente für Vertragsverhandlungen genauso, ich hab sie vor acht Jahren selber vertreten und auch meine praktische Konsequenz gezogen, in dem ich mich daran beteiligt habe. Ich glaube, ich würde diesen Prozess von möglichen Verhandlungen auch erst mal begleiten können im Sinne von einfach sehen, was da läuft. Und ich vermute; wenn ich die Position derer, die verhandeln, ernst nehme, dass wir uns möglicherweise wieder an einem Punkt treffen, wenn/die Verhandlungen scheitern. Und dann gäb’s für mich einen Grund, dann für die Konsequenzen, die aus gescheiterten Verhandlungen entstehen, einzutreten. Ich hoffe halt, dass diese Offenheit bei allen Beteiligten erstmal besteht, der jeweils anderen Position eine Chance zu geben. Ich hoffe einfach dass die Entscheidung nicht zu einer Spaltung im Projekt, sondern zu einem offenen Prozess führt, dass man auch erst mal weiterhin zusammen den Weg gehen kann und das dann an andern Punkten entscheidet. Ich finde aber auch, dass eine Entscheidung gegen Verträge eine Menge Optionen offen lässt. Ich bin mir zum Beispiel nämlich noch nicht im Klaren ob das ein Räumungsszenario sein muss, sondern ich finde es auch ne Überlegung, wenn es Gruppen gibt die noch nicht in der Flora aktiv sind, die sich vorstellen können diesen Raum hier auch zu nutzen, auch unter vertraglichen Bedingungen, dann ist das auch eine Option das noch mal auszuloten.

Norbert: Das versteh ich jetzt nicht

Anne: Na, Schlüssel abgeben

Stefan: Ja, Schlüssel abgeben. Dann müssen einfach andere Leute diesen Ort Flora weiterführen Dann sind wir das eben nicht mehr. Ich finde diese Zwangsläufigkeit eines Räumungszenarios sehe ich so auch einfach nicht. Das wäre auch ein Diskussionsprozess, den man dann szeneöffentlich führen müsste. Und da hätte ich auch nicht das Gefühl, das ist dann Leichenfledderei.

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Zeck – Dezember 2000