Berlin: Zur Schließung der Kadterschmiede und unserem Umgang mit offenen Räumen

Mittwoch 25. März

Wir bekommen einen Anruf unseres Anwalts, welcher eine telefonische Drohung der Bullen an uns weiter gibt. Inhalt der Drohung war, dass sie die Rigaer94 betreten werden, wenn die Kadterschmiede nicht offiziell geschlossen wird. Daraufhin kündigten wir, nach einer gezwungenermaßen kurzen Diskussion, über Twitter und auf unserer Website an, dass wir an diesem Tag nicht öffnen würden.

Bereits gegen 20 Uhr befanden sich etwa zehn Mannschaftswagen der Bullen in der näheren Umgebung und an der Wedekindwache (Bullenstation im Friedrichshainer Südkiez) stand schweres Equipment der Technischen Einheit bereit. Für den Großteil des Abends wurde der Raum zwischen Rigaerstrasse , Zellestrasse und Dorfplatz von Cops besetzt und durch Bullenketten abgeriegelt. Vor unserer Tür war wieder einmal die, zu diesem Zeitpunkt noch neue, BP-Einheit (Brennpunkt-und Präsenzeinheit [1] ) stationiert. Vertreter der größeren Klatschblätter und Massenmedien warteten ebenfalls vom frühen Abend an in der Strasse.

Einige Tage zuvor hatten wir einen Text mit dem Titel “Selbstorganisation im Ausnahmezustand – Warum wir offene soziale Räume für wichtig halten”[2] veröffentlicht und in den Straßen plakatiert. Auch wenn wir immer noch politisch dahinter stehen, war das in zweierlei Hinsicht ein Schuss ins Blaue. Weder hatten wir die Reaktion unseres Feindes in Gestalt des Staates bedacht, noch alle Unsicherheiten bezüglich hygienischer Maßnahmen aus dem Weg geräumt. So waren wir, mangels einer tiefergehenderen Diskussion und Analyse rund um die Öffnung unserer Räume, auch nicht auf die sich ankündigende Repression an diesem Mittwoch vorbereitet. Wir stapften also geradewegs in unsere eigene Falle da wir nicht in der Lage waren jedwege Entscheidung, die wir hätten treffen können, kollektiv zu verteidigen.

Schlussendlich sagten wir unsere VoKü ab und schlossen die Kadterschmiede. Der Mangel an kollektiver Analyse bezüglich unserer vorangegangenen Entscheidung sowie der Zeitdruck zur Entscheidungsfindung am Mittwoch zeigten inhärente Probleme in unserem Vorgehen auf. Kritik bezüglich der Öffnung der Kadterschmiede, die Einzelnen gegenüber zuvor geäussert worden war, das unübersehbare Statement der Szene zur Schließung fast aller kollektiver Räume (welchem wir mit der Öffnung entgegenwirken wollten) und die damit einhergehende Abwesenheit offener Solidarität mit unserer Entscheidung, eigene Unsicherheiten zum Umgang mit dem Virus, all das führte uns zu dieser Entscheidung.

Widerstand

Als Anarchist*innen werden wir stets gegen (staatliche) Repression kämpfen. Die Bildung einer solidarischen Bewegung ist ein zentrales Werkzeug zur Bekräftigung dieser Kämpfe, unsere Entschlossenheit und unsere Beharrlichkeit die Spitze unseres Speeres. Wir kämpfen gegen die Existenz des Staates und die Befehle, denen er uns unterwerfen will. Wir analysieren und untersuchen seine Diktate kritisch, stellen unsere eigenen Analysen auf und verteidigen diese. Gleichzeitig müssen wir uns unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten bewusst sein, Prioritäten und Ziele bestenfalls so gesetzt sein, dass sie uns alle voranbringen. Die Situation, mit der wir und unsere nächsten Nachbar*innen seit einigen Monaten vor unseren Haustüren konfrontiert sind, also ihre buchstäbliche Belagerung durch die Handlanger des Staates, welche jede Bewegung in und aus dem Haus zu kontrollieren versuchen, bringt uns in eine sehr defensive Position. Der Staat versucht Freund*innen, Gefährt*innen und Nachbar*innen davon abzuhalten, uns zu besuchen. Das Ziel unserer Feinde, uns zu isolieren, ist offensichtlich. Dass der offene Konflikt mit den Autoritäten, den wir immer auszuweiten suchen, auf eine harte Reaktion ihrerseits stößt, überrascht nicht. Also nichts Neues, nichtsdestotrotz erdrückend, solange wir eine Abwesenheit von Solidarität aus einer anarchistischen und linksradikalen Szene empfinden. Dementsprechend können wir unsere Entscheidung vor einem Monat, die Kadterschmiede zu schließen, nachvollziehen, wollen uns jedoch gleichzeitig in den Mittelpunkt der (Selbst-)kritik stellen, wie mit einem solchen Dilemma, das sich uns stellte, umgegangen werden kann.

Kollektives Vorgehen

Jedoch, trotz aller Widersprüche und Verfehlungen, durch kollektive Reflektionsprozesse werden wir mit unseren Fehlern konfrontiert und sie befähigen uns, aus ihnen zu lernen. Ein horizontales und antihierarchisches Vorgehen wird durch diese Risiken nur wichtiger, sie zeigen uns klar, wie wichtig ausführliche Diskussionen sind. So können wir kollektive Antworten finden und damit unser Vorgehen stärken. Auf dass wir in der Zukunft unseren Unterdrückern stärker entgegen treten können, mit geeigneteren analytischen Werkzeugen und Argumenten und besseren Reflexen.

Offene Räume

Unsere offenen Strukturen sind eines der wenigen real greifbaren Beispiele, die durch die Prozesse zum Aufbau kollektiver Strukturen, die sich selbst organisieren und verteidigen können, unsere politischen Vorstellungen erfahrbar machen. Durch sie kommen wir in Kontakt mit der Gesellschaft und anderen radikalen Splittern; ein Kontakt, der die von Staat und Massenmedien kreierten Bilder durchbrechen kann. Beziehungen können entstehen und sich bilden, es gibt Raum und Zeit für politisches Wachstum und Diskussion. In der Kadterschmiede können wir Essen gegen Spende an Menschen, die es brauchen oder jene, die schlicht nicht an dessen Kommerzialisierung teilhaben möchten, ausgeben, wir öffnen einen Raum mit dem Bewusstsein um verschiedene Formen der Diskriminierung und dem Ziel, diese zu bekämpfen. Zudem bieten offene soziale Räume die Möglichkeit sich auch zu Zeiten steigender soziale Spannungen zu treffen und zu organisieren. Sie bringen die soziale Spannung in ihre Gegenden und werden zu Zentren der Kämpfe, die Feind*innen der Autorität, des Staates und des Kapitals willkommen heißend, in offener Feindschaft zu denen, welche die Strukturen des Systems aufrechterhalten

Aus diesen Gründen – und sicher gibt es noch mehr – sind wir überzeugt, dass offene Räume ein unverzichtbarer Teil einer anti-autoritären Bewegung sind und diese verteidigt werden müssen. Aus diesem Grund hatten wir vor etwa einem Monat in unserem Text “Selbstorganisation im Ausnahmezustand – Warum wir offene soziale Räume für wichtig halten” erklärt, dass wir die Kadterschmiede offen halten werden, auch in Zeiten von Corona.

Gleichzeitig beunruhigt uns die Realität, die wir tagtäglich erleben, weiterhin. Dass gerade in Zeiten dieser Krise – durch die Bank weg – fast all unsere Infrastruktur geschlossen hat und viele politische Prozesse vertagt wurden oder eingeschlafen sind, besorgt uns. Glücklicherweise haben sich auch neue Strukturen gebildet. Wir alle müssen mit einer Situation zurecht kommen, in der augenscheinlich ein Großteil der, auch der sonst kritisch denkenden, Menschen die Richtlinien des Staates ohne Widerstand akzeptieren. Die Fähigkeit, sich an eine neue Ordnung anzupassen, kann oft notwendig sein, nichtsdestotrotz braucht es gleichermaßen eine Antwort auf und Widerstand gegen die Forderungen, denen sie uns unterwerfen wollen. Mit einem Gefühl von politischer Verantwortung und der Gewichtigkeit unseres Handelns im Hinterkopf empfinden wir den Raum, den die Repression von Tag zu Tag gewinnt, gefährlich. Wir sind weiter davon überzeugt, dass alle für sich selbst entscheiden können wo sie hingehen möchten, wie lange sie spazieren gehen möchten, wie lange sie im Park sitzen möchten und mit dem sie dort sitzen mögen. Dabei kann solidarisches Handeln natürlich weder mit noch ohne Ausnahmezustand die Bedürfnisse anderer einfach ignorieren. Deshalb wollen wir neue Strategien und politische Antworten gegen unsere Unterdrücker finden. Antworten, die einen generellen Vorschlag einer Gesellschaft in Solidarität, Freiheit und Gleichheit, unterstützen und verteidigen.

Und jetzt?

Und so führt uns diese Situation dazu, neue Ideen vorzubringen, um unseren Kampf hier im Nordkiez weiterführen zu können. Wir freuen uns über das spontane Zusammenkommen zur Reflektion von Aktionsmöglichkeiten im Ausnahmezustand, das zu Versammlungen wie der am Kotti[4] und der Fahrraddemo[5] geführt hat. Seit einem Monat gibt es jede Woche von unseren Balkonen vom Jugendclub Keimzelle ein Kiezradio mit Informationen, inhaltlichen Beiträgen und Analysen, Musik, Quizzes und Bingo. Das knüpft neue Verbindungen zwischen uns anderen jungen Menschen und unseren Nachbar*innen, ob auf der Straße oder auf den Balkonen, aber klar sichtbar und die Straßen und Plätze zurück fordernd. Einige unserer Nachbar*innen berichten auch, dass sie nach dem Radio zum ersten Mal untereinander ins Gespräch kamen. Außerdem machen wir auch eine VoKü vor unserer Haustür, die aus den zuvor erwähnten Gründen Essen gegen Spende anbietet und einen kollektiven Raum öffnet. An den Di- und Donnerstagen gibt es eine Abgabestelle für dringend in den Lagern an der griechischen Grenze benötigte Medikamente und Spenden für Gefangene.[3]

Wir hoffen, nachdem nun bald zwei Monate des Ausnahmezustands hinter uns liegen, eine Diskussion in anti-autoritären und anarchistischen Strukturen mit an zu feuern, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen können, wie wir trotzdem eine Kontinuität in unseren politischen Prozessen halten können, wann wir offene soziale Räume offensiv wieder öffnen sollten ohne uns darin von Entscheidungen des Staates abhängig zu machen. Und so arbeiten wir daran, die Kadterschmiede wieder vollständig zu öffnen und sind bereit zu kämpfen, für rebellische Nachbarschaften und die Revolte gegen jegliche Mechanismen der Macht.

Rigaer94
Rigaerstrasse 94, Berlin
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[1] (https://rigaer94.squat.net/2020/03/10/berliner-polizei-bereitet-eskalation-im-kbo-friedrichshain-vor/)

[2] (https://rigaer94.squat.net/2020/03/24/selbstorganisation-im-ausnahmezustand-warum-wir-offene-soziale-raume-fur-wichtig-halten/)

[3] (https://rigaer94.squat.net/2020/04/26/solidaritat-lasst-sich-nicht-in-quarantane-setzen-solida/rity-cant-be-put-in-quarantine/)

[4] Hier gibt es einen de.indymedia Artikel, aufgrund des Ausfalls fehlt leider der Link

[5] Zur Fahrraddemo wurde leider kein Resume veroeffentlicht, das es keine Katastrophe war hat sicher bei der Entscheidung zur Fahrraddemo zur Walpurgisnacht mitgewirkt


quelle: Rigaer94 https://rigaer94.squat.net/2020/05/08/zur-schliesung-der-kadterschmiede-und-unserem-umgang-mit-offenen-raumen/