Zusammenfassung der Ereignisse in Amsterdam |
In Amsterdam werden die Häuser meist nicht “einfach so” geräumt – nach einer inoffiziellen Absprache im Stadtrat von Amsterdam gibt es im Jahr drei bis vier Räumungstermine, die üblicherweise vorher bekannt sind.
Entrepotdok |
Die grösste Räumung am gestrigen Dienstag war sicherlich die des großen Lagerhauses “Kalenderpanden” / “Entrepotdok” – Eine Zusammenfassung der Geschichte des Hauses findet sich an vielen Stellen auf dem [squat!net] Server und wird an dieser Stelle den Leserinnen und Lesern von [squat!net] erspart.
Das Bewohner des Entrepotdoks rechneten schon seit Wochen mit einer Räumung zum 31. Oktober und waren auf das Datum eingestellt – Andere Häuser (s.u.) erhielten die Mitteilung an diesem Tag geräumt zu werden. Am Montag, 30. Oktober verdichteten sich noch einmal die Gerüchte, denn die Anwohner und Nachbarn sollten ihre Autos nicht in der Nähe des Entrepotdoks abstellen.
So reisten am Montag auch noch zahlreiche Unterstützerinnen von überall her an – Menschen aus den gesamten Niederlanden wollten noch ein letztes Mal Ihre Solidarität zeigen. Viele Amsterdammer kamen aber auch nur “einfach so” um auf das für Montag organisierte Kulturprogramm zu sehen. Zahlreiche Bands, wie ein Chor aus der Nachbarschaft solidarisierten sich mit dem Entrepotdok – Aber auch aus dem Ausland kam Unterstützung gegen die Räumung – selbst aus Berlin reiste ein eigens gecharterter Bus an –
Das am Montag laufende Kulturprogramm zog dann im Laufe des Abends auch etwa 1000 Menschen an. Im ersten Stock liefen eine Vokü und eine Bar (wie üblich) und ein Techno-Dancefloor, zudem gab es diverse kleinkünstlerische Aktivitäten die einfach frei im Raum aufgeführt wurden. Im zweiten Stock gab es diverse Konzerte und ebenfalls eine Bar. Hier traten u.v.a. “de kift” und natürlich auch die bereits oben erwähnten Anwohner auf.
Zur gleichen Zeit wurde im dritten Stock besprochen, wie das weitere Vorgehen der Besetzer und Unterstützer bezüglich einer bevorstehenden Räumung sein sollte. Auch hier fanden sich etwa 100 Menschen ein, die kreative Ideen bis hin zum Barrikadenbau favorisierten. Das Entrepotdok, an einer Seite direkt am Wasser gelegen, besitzt drei wichtige Zufahrtswege, zwei aus der Innenstadt und ein Zufahrtsweg vom Osten her. Es wurde damit gerechnet, dass eine Räumung durch die Polizei auch bedeutet, dass die Einsatzkräfte nicht zum Einsatzort geflogen werden, sondern dass sie die Strassen zum Entrepotdok nutzen müssen. So wurde beschlossen, die beiden Brücken, die nach Westen Richtung Innenstadt führen zu öffnen, und einen Polizeivormarsch auf dieser Seite weitestgehend zu verhindern. Die Straße, welche vom Entrepotdok in den östlichen Teil der Stadt führt, sollte durch Barrikaden gesperrt werden.
Nachdem das Kulturprogramm zuende gegangen war begannen auch schon die Bauarbeiten zum Barrikadenbau. Umgehend wurden die beiden Brücken geöffnet und auf dem Zufahrtsweg vom Osten wurden Barrikaden errichtet – Eine unmittelbar an der Stichstrasse zum Eingang des Entrepotdoks und zwei dahinter – Hierzu wurde u.a. ein Presslufthammer und ein kleiner Bagger eingesetzt. Gut vorbereitet waren Sperren aus zusammengeschraubten Gerüststangen, welche direkt an der Stichstrasse aufgebaut wurden. Die Besetzer hatten zudem “Elefantenfüße” – Tonnen gefüllt mit Beton – vorbereitet, welche direkt vor dem Enrepotdok auf Stahlplatten geschweisst und mit Ketten vertaut wurden. Der Barrikadenbau lief zwischen 12 und vier Uhr morgens auf Hochtouren. In der Bildergallerie ist ein Teil der Barrikaden zu sehen.
In der Tat kamen die Einsatzkräfte der Polizei vom Osten aus – gegen 4:50 Uhr fuhr ein Räumfahrzeug und mehrere Mannschaftswagen von Osten auf. Die Kräfte bauten sich zunächst an der ersten errichteten Barrikade auf, wurden jedoch nach wenigen Minuten von etwa 50 Leuten mit Steinen eingedeckt. Dennoch war das Vorgehen auf Seiten der Demonstranten nicht klar – So wurde die erste Barrikade recht schnell verlassen. Sicherlich war hieran auch das direkt umfangreich eingesetzte Tränengas schuld, welches in Form von Abschusskartuschen und Tränengashandgranaten eingesetzt wurde.
So musste nach wenigen Minuten auch die zweite Barrikade verlassen werden – Der Tränengasbeschuss war zu massiv, sodass die Unterstützerinnen immer wieder zurück in die Stichstrasse fliehen mussten. Dies hatte jedoch auch den Effekt, dass die Polizei nach wenigen Minuten neues Tränengas anfordern musste. Auch der Wasserwerfer war nach wenigen Minuten leer.
Die Gruppe der Unterstützerinnen verliess nach einiger Zeit die forderen Barrikaden und zog sich hinter die grosse Barrikade, direkt an der Ecke zum Entrepotdok zurück. An dieser Stelle waren behelfmässige Panzersperren aus Gerüststangen aufgebaut und ein Bauwagen auf die Strasse gekippt. Nach wenigen Minuten wurde dieser Bauwagen entzündet und bildete eine brennende Barrikade zwischen den Demonstranten und der Polizei. Die Unterstützer warfen nun über Stunden hinweg Steine, Flaschen und Schrauben auf die andere Seite der Barrikade und verzoegerten das weitere Vorstossen der Polizei. Diese reagierte mit Tränengas und schickte Ihre Schergen immer wieder weiter vor. Das Feuer des brennenden Bauwagens wurde immer weiter von der Seite aus mit Styroporplatten, Holzpaletten und anderen brennbaren Gegenständen aufrecht erhalten. Die Demonstranten nutzten auch die eingezäunte Fläche einer gegenueber dem Entrepotdok gelegenen Baustelle, um von dieser immer wieder gegen die Polizei vorzugehen. Diese Stelle bot eine nahezu ideale Angriffsfläche auf die vorstossenden Beamten, da bei jedem Vorstoss von der Seite mit Steinen reagiert werden konnte.
Wähend der ganzen Zeit wurden keine Molotowcoctails eingesetzt. Die Polizeibeamten vermeldeten über Funk zu Beginn der Ausschreitungen einen verletzten Beamten. Aber im Verlauf des Abends stabilisierte sich jedoch der kritische und planlose Zustand der Polizei. Zu Beginn des Abends waren noch das Tränengas ausgegangen, der Wasserwerfer war alle. Später musste noch bei dem Wasserwerfer der Reifen gewechselt werden. Die Beamten vollführten nach den ersten Schamützeln schliesslich relativ stet ihren langsamen Vormarsch und zogen sich immer wieder taktisch für ein paar Meter zurück. Die Beamten, die wahrscheinlich nicht mit dieser starke Gegenwehr gerechnet hatten, warfen auch z.B. keine Steine zurück – Szenen, wie es sie z.B. bei deutschen Ausschreitungen immer wieder gibt. Aber auch die Besetzer lernten im Laufe des Abends hinzu – Nach etwa einer Stunde gelang das Loeschen der Tränengasgranaten weitgehend problemlos – auch waren die Besetzer nicht mehr so panisch wie am Anfang und rannten nicht bei jedem Vorstoss der Polizei nach vorne um 100 Meter zuruck.
Gegen kurz vor acht waren die Barrikaden an der Strasse kaum mehr zu halten – viele Sympatisanten zogen sich zu diesem Zeitpunkt zurück und verliessen in einem Trupp den Bereich um das Entrepotdok.
Gegen 7:53 Uhr gab es noch drei Festnahmen – alle anderen Besetzer entkamen unerkannt.
Danach, gegen 9:15 Uhr, betritt die Polizei das leerstehende Gebäude. Gegen 9:37 Uhr werden die im Gebäude ausgesetzten Hängebauschschweinferkel gefunden.
Wagenstraat 3 |
Nach der Räumung der Kalenderpanden wurden die Einsatzkräfte in Richtung Stadtzentrum abgezogen und bereiteten gleich die Räumung der Wagenstraat 3 vor. Die Besetzer der Wagenstraat 3 wehrten sich jedoch massiv – vom Dach aus wurde der Wasserwerfer beworfen. Nach etwa einer halben Stunde traf auch ein Räumungscontainer am Haus ein. Dieser diente dazu den Beamten den Zugang zum Dach des Hauses zu ermoeglichen. Die Beamten konnten vom Dach des Hauses nicht sonderlich viel anrichten und mussten die Haustür in etwa halbstündiger Arbeit mit einer Motorflex aufsägen.
Prinsengracht 478 |
Während die Räumung der Wagenstraat noch lief vermeldete der lokale Piratensender “Radio de Vrije Keyser”, dass an der Prinsengracht Barrikaden errichtet würden. Da die Wagenstraat von der Polizei weitgehend abgeriegelt war, zogen viele Menschen zur seit dem 30. Juli besetzten Prinsengracht. Die Barrikaden wurden nach wenigen Minuten von der Polizei abgeräumt und Zivilbeamte gelangten von dem Nachbarhaus in das Haus. Zuvor war noch der Wasserwerfer am Haus vorbeigefahren um kurz mit Farbeiern beworfen zu werden.
Nach einigen Minuten im Haus führten die Beamten vier uniformierten Besetzer aus dem Haus. Von der anderen Grachtseite wurde dies mit Johlen und Pfiffen kommentiert.
Herrengracht 243a |
Ebenfalls sollte am 31. Oktober die seit Anfang ’99 besetzte Herrengracht geräumt werden. Die Räumung verzoegerte sich ein wenig, da die Beamten anscheinend in der Mittagspause waren. Anscheinend aus Langeweile bewarfen die Besetzer aus dem Haus vorbeifahrende Motoradpolizisten mit Farbeiern. Nach einiger Zeit fuhr auch der Wasserwerfer auf – er wurde umgehend mit vielen Farbeiern beworfen – die Besetzer hatten anscheinend hunderte Farbeier hergestellt. Auch die Stimmung schien nicht wirklich schlecht zu sein – Die Besetzer waren auch vortrefflich gekleidet und bekamen von dem mobilen Reporter von “Radio de Vrije Keyser” eine glatte eins für Aestetik bei der Räumung.
Leider wurden die Sympathisanten von weiteren Beamten – die allesamt Gasmasken trugen – schnell die Gracht hinabgedrängt – Dabei waren auch durchweg mehrere (etwa 15) Zivilbeamte anwesend. Diese griffen nach einiger Zeit einen der Sypathisanten ab und nahmen ihn aus unbekannten Gründen fest.
Weitere Räumungen |
Nach den Räumungen wurden noch zwei eher unbekanntere Häuser in Amsterdam geräumt.
Zusammenfassung |
Der gesamte Dienstag verlief sehr kämpferisch und für alle Beteiligten sehr befriedigend. Es wurden bei der Räumung des Entrepotdok nur drei Menschen festgenommen – Auch die Polizei kam mit einem blauen Auge davon und vermeldete nur 6 verletzte Beamte. Die Räumung des Entrepotdoks konnte am Ende jedoch nicht verhindert werden – Und zu befürchten ist auch, dass im Nachhinein die Räumung in guter Erinnerung verbleibt, die kulturelle und soziale Bedeutung des Projekts jedoch in Vergessenheit gerät.
Die Räumung war vermutlich die Groeste Räumung in Amsterdam seit Anfang der achtziger Jahre. Die letzte vergleichbare Räumung in den Niederlanden war vermutlich die Räumung des WNC in Groningen Ende Mai 1990. Hierbei wurden jedoch viele Besetzer festgenommen und verblieben z.T. über Monate im Gefängnis.
Das Vorgehen der Polizei schien nicht recht vorbereitet. Es verbreitete sich das Gerücht, dass die auf der Party anwesenden Zivilbeamten, die Party verliessen und mit einer Art Happening rechneten.
Reaktionen |
“Geschockt” zeigte sich der Stadtrat von Amsterdam über die harten Auschreitungen. Der Bürgermeister überlegt die Räumungen von besetzten Häusern nun nicht mehr anzukündigen – Nur die Ankündigung hätte die breite Unterstützung für das Entrepotdok moeglich gemacht. Dennoch waren die Kommentare in den Zeitungen am heutigen Mittwoch durchaus positiv für die Besetzer. Die Volkskrant schrieb von Amsterdammer Besetzern und Deutschen Unterstützern.
[squat!net]